Österreichische
Zeitgeschichte in einem Haus
19.02.2011
| 18:06 | von Martin Kugler (Die Presse)
Ein neues Buch nimmt
eine
Bestandsaufnahme vor, wie Geschichte hierzulande präsentiert wird.
„Österreich bespiegelt sich gern in der
Geschichte“, stellt der Innsbrucker Zeithistoriker Dirk
Rupnow fest. Doch Jahrestage und Jubiläen, die in regelmäßigen
Abständen Aufmerksamkeit erregen, seien meistens „ebenso schnell wieder
vergessen, wie sie aufgekommen und lanciert worden sind“. Was eindeutig
fehlt
sei ein dauerhaftes „Haus der Geschichte“,
wie es seit einem Jahrzehnt zeitweise hitzig diskutiert wird – über das
man
aber schon wieder ein Jahr lang nichts gehört hat.
Allerdings
ist es
nicht so, als gäbe es überhaupt keine Museen, in denen Zeitgeschichte
dargestellt wird. Es gibt sie – und das ist der Kern des äußerst
lesenswerten
Buches „Zeitgeschichte ausstellen in Österreich“, das Rupnow nun
gemeinsam mit
der Kulturwissenschaftlerin Heidemarie Uhl (ÖAW) herausgegeben hat. Es
soll
eine „Bestandsaufnahme“ dieser vielen Einrichtungen sein – etwa die
KZ-Gedenkstätten
Mauthausen oder Ebensee, diverse Landesmuseen, das Dokumentationsarchiv
des
österreichischen Widerstandes (DÖW) oder das Heeresgeschichtliche
Museum (HGM).
In
Letzterem sind,
was viele Menschen nicht wissen, die Relikte eines bereits einmal
gescheiterten
Anlaufs für ein groß angelegtes Zeitgeschichte-Museum zu sehen: Der
Saal
„Republik und Diktatur“ enthält viele Objekte des „Republikmuseums“,
das
Bundespräsident Karl Renner 1946 angeregt hat. In den ersten Jahren
wurde mit
Elan am Aufbau der Sammlung im Stock über der Präsidentschaftskanzlei
gearbeitet. Nach Renners Tod stockten die Arbeiten aber – und
versandeten 1960.
Dann
begann eine
wahre Odyssee: Ab 1969 bekam die neu gegründete
Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft
die Bestände überantwortet – außer Abstauben und regelmäßigem Lüften
passierte
aber nichts weiter. 1987 wurden die Objekte nach Eisenstadt gebracht,
wo sie im
„Museum Österreichischer Kultur“ (MÖK) ausgestellt wurden. Nach dessen
Schließung 1995 kamen die Stücke in das Bundesdepot Siegendorf – bis
sie drei
Jahre später im HGM landeten. Wenn man als interessierter Staatsbürger
z.B.
etwas über Ignaz Seipel wissen will, ist das wohl die einzige
Anlaufstelle in
Österreich.
Will
man hingegen
Näheres über Engelbert Dollfuß erfahren, dann muss man schon zu seinem
Geburtshaus im niederösterreichischen Texing fahren, wo 1998 eine
Mischung aus
Information und Andachtsstätte eingerichtet wurde. Für die
Zeithistorikerin
Lucile Dreidemy (Uni Wien) ist diese Schau ein Beweis dafür, dass die
wissenschaftlichen
Fortschritte in der Erforschung der Zwischenkriegszeit „keinen
politischen
Gesinnungswandel“ erzwingen konnten. Und bekanntlich hat auch die
Waldheim-Affäre (1986) und die Anerkennung der Mittäterschaft im
Naziregime
(1991) kaum etwas an den Auffassungsunterschieden zwischen den
politischen
Lagern geändert: Nur selten wurden gemeinsame Ausstellungen
organisiert, viel
öfter getrennte. Das Fazit Rupnows: „Die ,österreichische Geschichte‘
in ein
,Haus‘ zu pressen, bleibt eine Herausforderung.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2011)