Die Darstellbarkeit der Geschichte

Wiener Zeitung vom 12. Jänner 2008

Österreich braucht ein Museum, in dem es sein historisches Selbstverständnis und sein Geschichtsbewusstsein publikumswirksam präsentiert. Ein Plädoyer in zwölf Fragen – und Antworten.

Im Jahr 2006 wurde von der damaligen Bundesregierung eine Arbeitsgruppe beauftrag, eine "Roadmap" zur Errichtung des "Hauses der Geschichte der Republik Österreich" zu erstellen. In dieser "Roadmap" soll eine detaillierte Umsetzungsstrategie für das neu zu errichtende Haus der Geschichte entwickelt werden. Auch die neue Bundesregierung unterstützt im Prinzip den Plan eines Hauses, in dem die neuere österreichische Geschichte präsentiert werden kann. Dennoch sind noch viele grundsätzliche Fragen offen. Zwölf davon werden im Folgenden zusammengestellt und beantwortet.

Braucht Österreich ein Haus der Geschichte?

Österreichs Entwicklung vom 19. bis ins 21. Jahrhundert zählt zu den spannendsten Kapiteln der europäischen Geschichte. Der wechselvolle Werdegang unseres Landes von der Monarchie zur Ersten Republik, von der NS-Zeit zur Zweiten Republik, hin zum Beitritt zur Europäischen Union verdient es, in moderner Form vergegenwärtigt zu werden. Ein Zentrum, in dem die Geschichte für alle Bevölkerungsschichten verständlich dargestellt wird, in dem historische Fakten und Entwicklungen erklärt und sichtbar gemacht werden, ist für die Entwicklung der Demokratie von großer Bedeutung. Faktenwissen ist die Grundlage für einen aufgeklärten politischen Diskurs. Keines der bestehenden Museen ist darauf ausgelegt, die jüngere österreichische und europäische Geschichte erfahrbar zu machen. Deshalb heißt es in der Regierungserklärung vom 16. Jänner 2007: "Wir wollen einen eintrittsfreien Tag pro Monat in den Bundesmuseen ermöglichen, für ein Haus der Geschichte bis Mitte dieses Jahres ein Konzept erarbeiten und Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 unterstützen."

Ein Museum oder etwas anderes?

Ein modernes Haus der Geschichte wird in erster Linie Museum sein. In dieser Funktion wird es einen permanenten Ausstellungsteil geben und daneben temporäre Sonderausstellungen zu aktuellen Themen. Das Haus der Geschichte muss aber gleichzeitig Diskussionsforum, Dokumentationszentrum und Stätte des Dialogs sein – auch mit Historikern, Publizisten und interessierten Vertretern aus unseren Nachbarländern. Es tritt nicht in Konkurrenz zur akademischen zeitgeschichtlichen Forschung, sondern will ein verlängerter Arm dieser Institutionen sein. Für Symposien, gemeinsame Forschungsprojekte und öffentliche Veranstaltungen will das Haus der Geschichte Plattform bieten. Jubiläumsausstellungen aller Art fänden hier ebenso eine Heimstatt wie politisch aktuelle Diskussionsforen.

Ein Beispiel: Wäre es nicht schön gewesen, am letzten Nationalfeiertag, an dem Franz Jägerstätter seliggesprochen wurde, nicht nur eine Ausstellung, sondern auch eine öffentliche Diskussion zum Thema "Kriegsteilnahme und Widerstand" zu veranstalten? Vielleicht sollte man für diese Institutionen auch einen neuen Namen finden – etwa "Forum Austria" (im Haus der Geschichte).

In der sogenannten "Road Map" aus dem Frühjahr 2006, dem Abschlussbericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe (Leitung: Günter Düriegl, weitere Mitglieder: Stefan Karner, Manfred Jochum, Herbert Matis und Christian Ortner) heißt es an prominenter Stelle: "Das ‚Haus der Geschichte der Republik Österreich‘ soll ein offenes Forum sein, in dem sich Wissenschaft und Öffentlichkeit begegnen, ein Ort der Darstellung neuer Erkenntnisse und der Überprüfung historischer Mythen. Die Sammlung des ‚Hauses der Geschichte‘ muss als offener Prozess angelegt, werden, denn was heute Gegenwart ist, ist morgen schon Geschichte."

Wann beginnt das moderne Österreich?

Sicher nicht im Jahr 1918. Das Weglassen der politischen, der wirtschafts-, sozial- und geistesgeschichtlichen Wurzeln Österreichs im 19. Jahrhundert käme einer Selbstamputation gleich. Was wäre die Geschichte Österreichs ohne das Zeitalter der Frühindustrialisierung, ohne die bürgerliche Revolution von 1848 und den Kampf um die bürgerlichen Freiheiten, das Ringen um nationale Identität seiner Völker, die Entstehung der Arbeiterbewegung, die Auseinandersetzungen um das Wahlrecht, die kulturelle und intellektuelle Hochblüte um die Jahrhundertwende und die in Österreich entstandenen und für die weitere Entwicklung so verheerenden Strömungen des Deutschnationalismus und Antisemitismus?

Warum aber dann nicht gleich auf die Babenberger zurückgehen? Schließlich lässt ja auch das Deutsche Historische Museum in Berlin die deutsche Geschichte mit der germanischen Zeit beginnen.

Die Antwort ist einfach: Man darf sich nicht überheben, man darf aber auch nicht zu engstirnig sein und nur auf die Republik blicken. Jedenfalls bestünde ja immer die Möglichkeit, in Sonderausstellungen auf diverse geschichtliche Ereignisse näher einzugehen. Das ergäbe auch Gelegenheit, die Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten in die Betrachtungen mit einzubeziehen.

Ist Nationalgeschichte noch aktuell?

Nein. Jede Form von Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit muss auch die Entwicklungen im größeren Umfeld Österreichs im Auge haben. Deshalb wird das Haus der Geschichte etwa das Verhältnis Österreichs nicht nur zu Deutschland, sondern auch zu Italien, nicht nur zu Ungarn, sondern auch zur Tschechischen Republik, nicht nur zur Schweiz, sondern auch zu Polen zum Gegenstand seiner Darstellungen machen.

Die Österreicher waren immer Mitbetroffene und Mitakteure europäischer Geschichte. Wenn man von den Bemühungen um ein gemeinsames Geschichtsbuch für Österreich und Italien einmal absieht, gibt es kaum ernsthafte Bestrebungen, die Beziehungen zu den Nachbarländern bisher gründlich aufzuarbeiten. Noch immer bestimmen viel zu viele Vorurteile und Klischees diese Beziehungen.

Ein Haus der Geschichte ist nicht nur ein Ort nationaler Selbsterforschung, sondern in einem vereinten Europa auch dazu bestimmt, über die eigenen Grenzen hinauszublicken und eine gemeinsame Sicht historischer Entwicklungen zu erarbeiten. Dabei bleibt es dennoch wichtig, sich den spezifisch österreichischen Entwicklungsprozessen auf allen Gebieten zu widmen.

Was kann man von Beispielen lernen?

Es ist sinnvoll, sich über bereits existierende Institutionen nach Art des Hauses der Geschichte zu informieren. So befasst sich das Haus der Geschichte in Bonn mit der gesamten Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Überlegungen hiezu wurden 1983 der Öffentlichkeit vorgestellt, der Spatenstich erfolgte im September 1989, die erste Ausstellung wurde im Juni 1994 eröffnet. Das Haus in Bonn bemüht sich, durch zahlreiche historische Objekte, wie den ersten nach dem Krieg gebauten VW, durch Filmausschnitte und historische TV-Debatten die Geschichte des geteilten Deutschland nach 1945 sinnlich erfahrbar zu machen. Das Museum in Bonn ist ausgesprochen besucherfreundlich gestaltet; auch historisch Ungebildeten wird dadurch ein neuer Zugang zur eigenen Geschichte eröffnet. Im Gegensatz dazu steht im Deutschen Historischen Museum in Berlin die wissenschaftliche Tätigkeit im Vordergrund.

Drastische Formen moderner Geschichtsvermittlung versucht das im Jahr 2002 errichtete "Haus des Terrors" in Budapest. Sowohl die faschistischen Methoden der Pfeilkreuzler als auch die stalinistischen Verbrechen des ungarischen Kommunismus werden durch handgreifliche Beispiele direkt am Ort des Geschehens dargestellt. Damit hat dieses Museum öffentliche Diskussionen ausgelöst. Das Ungarische Nationalmuseum zeigt dagegen einen chronologischen Ablauf der ungarischen Geschichte seit der Landnahme durch die Magyaren.

Von der Öffentlichkeit nur wenig beachtet leisten auch kleinere Institutionen wie das Renner-Museum in Gloggnitz oder das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in der Vogelsanggasse in Wien Margareten gute Arbeit.

Um welche Inhalte geht es eigentlich?

Grundsätzlich geht es um eine Dauerausstellung mit historischen Objekten, um Sonderausstellungen, um die wissenschaftliche Arbeit und um eine Diskussionsplattform. In Zusammenarbeit mit anderen Museen und Archiven, aber auch durch Aufrufe an die Bevölkerung ist sicherzustellen, dass eine genügende Anzahl von Originalobjekten für die Dauerausstellung zur Verfügung steht. Natürlich ist das nicht leicht, da ja kostbare Originalobjekte nicht ohne weiteres verfügbar sind und viele Alltagsgegenstände nicht mehr existieren. Faktum ist, dass unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Objekte ("hands on"-Exponate) für ein Museum unentbehrlich sind.

Ein Beispiel, dass derartige Aufrufe durchaus erfolgreich sein können, hat die Aktion "Berg der Erinnerungen" in Graz, gezeigt. (Siehe: http://www.berg03.at/inhalt.htm)

Es geht nicht so sehr um Quantität, sondern um Qualität, vor allem um symbolische Qualität. So hat etwa das in der Belvedere-Ausstellung 2005 gezeigte Fallbeil mehr als jedes andere Exponat Widerstand und Verfolgung symbolisiert.

Inhaltlich geht es um einen objektiven Überblick: So ist beispielsweise der Nationalsozialismus in Österreich gesamthaft zu präsentieren: den Opfer sind die Täter gegenüberzustellen. Nichts ist zu beschönigen, nichts zu verbergen. Unbeschadet einer solchen Gesamtdarstellung österreichischer Zeitgeschichte, können spezialisierte Einrichtungen wie das geplante Wiener Wiesenthal-Institut detaillierte Forschungsvorhaben verfolgen.

Wie verhindert man einseitige Präsentationen?

Das Haus der Geschichte hat nur dann einen Sinn, wenn es regierungsfern und unabhängig von jedem Parteieneinfluss geführt wird. Es darf weder eine Staatsdoktrin aufstellen, noch Tummelplatz verschiedenster ideologischer Richtungen und Einflusssphären sein. Zu vermeiden ist die Gefahr, dass durch Eliminierung aller Konfliktthemen ein "Scheinkonsens" erzeugt wird. Leichter gesagt, als getan – besonders in Österreich. Man sollte sich nicht der Utopie hingeben, dass staatsferne Institutionen so politikfrei geführt werden können, dass die für die Demokratie notwendigen politischen Gruppierungen ohne Einfluss bleiben würden. Die Mitarbeiter des Hauses der Geschichte sind daher aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz, ihrer wissenschaftlichen Redlichkeit, nicht aber aufgrund parteilicher Zugehörigkeiten zu bestellen.

In einem diesbezüglichen Grundsatzpapier haben wir bereits die politische Unabhängigkeit postuliert und weiters ausgeführt: "Wo wissenschaftliche Forschung und öffentliches Bewusstsein noch keinen Konsens erreicht haben, wo es offene Fragen und Kontroversen gibt, sind diese offen zu dokumentieren: ein ‚Haus der Geschichte‘ kann Konsens nicht vorspiegeln, wo Dissens herrscht. Das Bekenntnis, Fragen noch nicht geklärt zu haben, zählt zu den Fundamenten einer wissenschaftlichen Institution" .

Unter dem Dach eines neuen Hauses der Geschichte, in einem "Forum Austria" sollte es demnach möglich sein, dass Historiker verschiedener Denkrichtungen gemeinsam an Projekten arbeiten.

Welche bauliche Form muss das Haus haben?

Zwar sollte man sich zuerst über Inhalte, Präsentationsformen und Didaktik den Kopf zerbrechen, bevor man über Architektur spricht. Dennoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass nur ein Neubau symbolisch und funktionell der Idee eines Hauses der Geschichte, bzw. des oben beschriebenen Forums entspricht. Nur wenn man ein neues architektonisches Zeichen setzt, wird man dem Anspruch einer zukunftsweisenden Institution gerecht werden.

Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat davon gesprochen, das Haus der Geschichte vor der Silhouette des UNO-Zentrums im Schatten der neuen Hochhäuser auf der Donauplatte errichten zu wollen. Diesem Vorschlag ist aus ästhetischen wie aus betriebstechnischen Gründen voll zuzustimmen. Österreich braucht sich seiner Geschichte nicht zu schämen und sollte sie daher nicht in einem Altbau verstecken. Anderseits benötigt moderne Museumspädagogik optimale technische Voraussetzungen für digitale und multimediale Präsentation und Archivierung.

Der notwendige Architektenwettbewerb wird freilich erst dann zweckmäßig sein, wenn man sich über Rechtsform, inhaltliches und formales Konzept sowie die Finanzierung klar geworden ist.

Welche Darstellungsformen sind aktuell?

Im Laufe der Diskussion wurde auch der Vorschlag gemacht, das Haus der Geschichte einfach "virtuell" im Internet zu veranstalten. Diese Ansicht ist ebenso einseitig wie jene, die davon ausgeht, dass möglichst viele Objekte und Wandtafeln nötig sind, um ein Museum zu formen. Hingegen müssten sowohl haptisch erfahrbare Gegenstände und sogenannte "Flachware" (Photoreproduktionen) als auch moderne multimediale Möglichkeiten eingesetzt werden. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass es nicht genügt, vandalismus-resistente Work-Stations und möglichst viele Plasmaschirme anzuschaffen und zu hoffen, dass diese auf das Interesse der Besucher stoßen werden. Was mittlerweile in sieben von zehn österreichischen Haushalten vorhanden ist, lockt niemanden mehr ins Museum.

Moderne Museumspädagogik ist ohne den großzügigen Einsatz von moderner Visualisierung nicht denkbar. Deshalb sollte möglichst jeder historische Zeitabschnitt von technisch und inhaltlich erstklassigen Einführungsvideos eröffnet werden. Aus dem reichhaltigen Fundus historischer Kinofilme sind ständige Vorführungen auf einer Großleinwand zu veranstalten. Ein Haus der Geschichte braucht daher einen Kinosaal.

Wie lässt sich das Haus organisieren?

Erfahrungen im Ausland haben gezeigt, dass eine per Gesetz geschaffene Stiftung öffentlichen Rechts die zweckdienlichste Organisationsform ist. Der Stiftungsakt des deutschen Hauses der Geschichte beweist zudem, wie einfach man eine solche Rechtsform formulieren kann. Zuvorderst ist es die Aufgabe des Bundes und der Länder (deren eigene Geschichte ja die Geschichte Österreichs ausmacht!) zusammen mit den großen Verbänden für eine Institution zu sorgen, die sich der geschichtlichen Herkunft unserer Demokratie widmet.

Natürlich kann man in zweiter Linie auch daran denken, an private Investoren bzw. Sponsoren heranzutreten.

Wer soll das Haus der Geschichte leiten?

Der Posten des Gründungsdirektors muss europaweit ausgeschrieben werden, seine fachliche Qualifikation sollte in doppelter Hinsicht garantiert sein. Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit sollten auch Management-Fähigkeiten nachgewiesen werden. Vor allem aber sollte jedoch museumspädagogische Erfahrung vorhanden sein.

Wie ist das Projekt zu verwirklichen?

Zunächst sind alle bisherigen Berichte zu veröffentlichen, insbesondere die Stellungnahmen ausländischer Experten zur "Road Map". Dann ist anstelle von mehr oder weniger geheimer Kabinettspolitik ein offenes Bekenntnis der Koalitionsregierung zu dem in der Regierungserklärung erwähnten Vorhaben abzulegen. Das Thema ist zur parteipolitischen Profilierung denkbar ungeeignet. Vielmehr sollte unter Einbeziehung der Bundesländer und insbesondere der Bundeshauptstadt Wien ein Grundsatzbeschluss gefasst werden, dieses Projekt innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zu realisieren. Natürlich wird dazu ein interministerielles Komitee unter wesentlicher Mitwirkung österreichischer Historiker notwendig sein.

Dieses Komitee wird nicht nur die Aufgabe haben, inländisches und ausländisches Material zusammenzutragen, sondern sollte auch einen gesamtösterreichischen Diskussionsprozess in Gang setzen und in Gang halten. Vielleicht einigt sich die Regierung auf eine Persönlichkeit, die als Promotor dieses für Österreich wichtigen Projekts fungieren könnte. Wie wäre es mit dem Bundespräsidenten Heinz Fischer, der sich sehr für Zeitgeschichte interessiert?

Weitere Informationen im Internet unter:

http://members.aon.at/proaustria

Trautl Brandstaller geboren 1939, ist als Journalistin, ORF-Redakteurin, Autorin und freie Publizistin in Wien tätig. Mit Peter Diem engagiert sie sich in der Bürgerinitiative "pro Austria" für die Errichtung eines "Hauses der Geschichte Österreichs".

Peter Diem geboren 1937, ist Jurist. Er war u.a. Leiter der Abteilung Medienforschung im ORF. In der Bürgerinitiative "pro Austria" setzt er sich zusammen mit Trautl Brandstaller für die Errichtung eines "Hauses der Geschichte Österreichs" ein.