Quergeschrieben:
Horneks Bitte 

VON KURT SCHOLZ (Die Presse) 24.10.2005 

Die Chance, sich zu einem "Haus der Republik" zu bekennen, ist gerade am Nationalfeiertag eines "Gedankenjahres" nahe liegend. 

Ach, wie haben sie sich bemüht! Gequält haben sie sich - und uns -, um in uns ein Nationalgefühl zu wecken. Am "Tag der Fahne" mussten wir aus Buntpapier rot-weiß-rote Fähnchen kleben. Die lagen dann auf der Schulbank und sollten patriotische Gefühle bewirken. Irgendwann mit zwölf oder dreizehn musste ich den Monolog des Hornek ("Es ist ein gutes Land?") aus Grillparzers "Ottokar" vor versammelter Schule und dem angereisten Unterrichtsminister Drimmel aufsagen. 

Die Zeile "Wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde" war vom Direktor eigenhändig gestrichen worden, was dem Versmaß nicht zuträglich war, wohl aber der politischen Korrektheit. "Das lassen wir weg, sonst sagen die Roten, wir sind für den Otto", hatte der erfahrene Schulmann gemeint. Es war die Zeit der unseligen "Habsburgerkrise" - und für mich das früheste Beispiel politischer Bildung in der Schule. Einige Jahre später, ich war etwa 16, wurde am Nationalfeiertag umständlich ein Rundfunkgerät in die Klasse transportiert und wir durften eine Schulfunksendung hören, in der - damals tollkühn - die "Todesfuge" von Paul Celan rezitiert wurde: "Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts?" Wir waren erbaut ob der Dunkelheit des Textes und der Technik des Rundfunkgeräts, bis zur folgenden Geografiestunde, in der uns der Professor, ein Kreta-Kämpfer, fragte: "Was hat der gemeint mit ,Schwarze Milch der Frühe'? Einen Kaffee vielleicht?" Weg war die Stimmung. 

Man hat sie allein gelassen, unsere Lehrer, mit der Patriotismus-Aufgabe, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Österreich-Bewusstsein sollen sie vermitteln, aber wie? Mit Fitness-Märschen, dem Gratiseintritt in Museen, mit Europa-, Friedens-, Freiheits- und Menschenwürde-Appellen? Die Liebe zum Wahren, Guten und Schönen und zu Österreich sollen sie fördern. Hatte Peter Handke Recht, als er dazu kopfschüttelnd meinte "Ich liebe Österreich nicht, denn ein Land kann man nicht lieben, höchstens einen Menschen"? 

Patriotismus benötigt mehr als Appelle und Liebesaufforderungen. Eine Kulturnation braucht ein Gedächtnis, einen Ort der Beschäftigung mit Geschichte, der Erinnerung und der Entwicklung von Perspektiven. Das Gedenkjahr 2005 geht mit Riesenschritten dem Ende zu, und mit ihm auch hervorragende, von interessierten Lehrern und Schülern gestürmte Ausstellungen. Sollen die jetzt abgebaut werden, ohne an eine weitere Verwendung zu denken? Selten standen mehr erfahrene und über Parteigrenzen hinweg akzeptierte Fachleute zur Verfügung als jetzt. Flehentlich bitten müsste man sie, ihr Fachwissen in ein großes, dauerhaftes "Haus der Republik" einzubringen. Die Chance, sich zu diesem Projekt zu bekennen, ist gerade am Nationalfeiertag eines "Gedankenjahres" nahe liegend und "wohl wert, dass sich ein Parlament ihr unterwinde". Hornek 2005 - bleiben wir zuversichtlich: Es ist ein gutes Land, in dem man hoffen darf. Oder aber: Warten lernt. 

Kurt Scholz ist Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien und war langjähriger Wr. Stadtschulratspräsident.