Das Gedankenjahr ist Geschichte GASTKOMMENTAR VON ROMAN SANDGRUBER Zurücklehnen kann man sich nach dem Gedankenjahr nicht. Auf die Zeitgeschichte in Österreich wartet noch viel Informationsarbeit. Das "Gedankenjahr" ist
Geschichte. Als Projekt der Vermittlung und Über die 25 Peaces mit ihrem bisweilen ins Peinliche abrutschenden Aktionismus, der Vermauerung der Heldenplatz-Statuen, dem Gemüsegarten vor der Hofburg, den Kühen im Park des Belvedere oder gar der wie ein Lichterdom nachgestellten Bombennacht wird man sehr geteilter Meinung sein. Wie viele Österreicher tatsächlich vom Kranwagen, der den Balkon des Belvederes darstellen sollte, ihr "Österreich ist frei" heruntergeschrieen haben, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis. Die gegenüber den jüdischen Opfern unsensible Aktion mit den weißen Kreuzen am Heldenplatz ist Gott sei Dank schon im Voraus gestoppt worden. Das "Kochen nach Zonen" entsprach zwar den wirklichen Interessen der Österreicher, aber auch darüber gibt es keine Erfolgsmeldungen. Geschichtsvermittlung ist eben bisweilen auf einer sehr trivialen Ebene angelangt, was angesichts der dafür aufgewendeten extrem hohen Fördergelder, die bei ernsthaften Projekten fehlen, sicher kritisch zu reflektieren ist. Was war der Ertrag für die
Wissenschaft? Es ist in diesem Gedankenjahr viel geschehen, um die österreichische
zeitgeschichtliche Forschung aus ihrer fast manischen Fixierung auf die
Jahre 1933 bis 1945 herauszuholen, vielleicht auch zum Leidwesen jener
Wissenschaftler, die fast ausschließlich damit ihr Süppchen bestreiten.
Die beamtete Zeitgeschichte, etwa das große Institut für Zeitgeschichte
der Universität Wien mit seinen etwa 20 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern hat sich mit der extra hervorzuhebenden Ausnahme von
Oliver Rathkolb völlig aus den Themen des Gedankenjahres absentiert und
seine Fixierung auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beibehalten.
Auch die "Zeitgeschichte", das der österreichischen
Zeitgeschichte gewidmete Journal, ist nicht anders vorgegangen. Die Ausstellungen sind
geschlossen, die Exponate wieder in die Depots geräumt. Die übrig
gebliebenen Kataloge werden demnächst billig abgestoßen werden. Der nie
ausgelieferte, in zehntausend Exemplaren gedruckte Kinderkatalog der
Belvedere-Ausstellung ist "zwischengelagert", wie sich die
Verantwortlichen vorsichtig ausgedrückt haben. Was wird bleiben? Es ist
mehr als bemerkenswert, dass die wichtigsten Forschungen und Veröffentlichungen,
die zur österreichischen Zeitgeschichte nach 1945 in diesem Gedankenjahr
erschienen sind, nicht von den offizielle Aktivitäten des Gedankenjahrs
getragen sind, etwa die große Wirtschaftsgeschichte der ersten zehn
Nachkriegsjahre, die wir dem ehemaligen Staatssekretär und renommierten
Wirtschaftsforscher Hans Seidel verdanken, oder die großartige Geschichte
der Zweiten Republik, die Oliver Rathkolb in diesem Jahr herausgebracht
hat, und auch nicht die dreibändige Österreichische Industriegeschichte,
die aus privater Initiative in einem Team aus Wissenschaftlern und
Praktikern entstanden ist. Bleiben werden auch die umfangreichen Quelleneditionen, die aus Anlass des Gedankenjahres entstanden sind, die Editionen von Akten aus russischen Archiven oder zur österreichischen Außenpolitik und der Protokolle des Ministerrats. Was fehlt, ist die Zukunftsfähigkeit. Gerade die Quelleneditionen, die ja keine Lesebücher sind, werden weiter ganz konventionell in dickleibigen Büchern gedruckt und die vorhandenen Disketten entsorgt, während auf der anderen Seite von denselben Förderstellen viel Geld aufgewendet wird, um die im 19. und 20. Jahrhundert publizierten mittelalterlichen Urkunden zu digitalisieren und ins Internet zu stellen. Zu
einem virtuellen Haus der österreichischen Geschichte, das eine zukunftsfähige
Aufbereitung und Vermittlung der Zeitgeschichte zum Inhalt hat, wie es die
Bundesrepublik Deutschland schon seit Jahren besitzt und wie es viele öffentliche
und private Stellen weltweit bereits aufgebaut haben, hat sich die
Republik Österreich immer noch nicht aufraffen können und hat im
Gedankenjahr diesbezüglich eher Schritte zurück als nach vorne gemacht.
Nur das Land Oberösterreich hat es als Beitrag zum Gedankenjahr in die
Hand genommen, ein zukunftsfähiges virtuelles Forum und Haus der oberösterreichischen
Geschichte aufzubauen. Zurücklehnen wird man sich nach dem Gedankenjahr weniger denn je dürfen. Es ist höchste Zeit, in der Erforschung und Vermittlung der österreichischen Zeitgeschichte neue Wege zu beschreiten. Wenn der langjährige ÖVP-Politiker und Nationalratspräsident Alfred Maleta von einem seiner damaligen, durchaus auch heute noch sehr renommierten politischen Mitbewerber in einer Publikation, die zum Gedankenjahr verfasst wurde, mit Doppel-t geschrieben wird, offensichtlich in Analogie zur viel bekannteren Melitta-Kanne, weiß man, dass auf die Zeitgeschichte in Österreich noch viel Informationsarbeit wartet, nicht nur bei der so genannten breiten Masse, sondern auch bei den Spitzen der Republik.
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