Gastkommentar von Roman Sandgruber (25.3.2002)
Ein Haus der Geschichte der Republik
Wozu um Standorte streiten? Ein total virtuelles Museum - das wäre der letzte Schrei.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Linz.

Seit Jahren denkt die Republik Österreich über ein Haus ihrer Geschichte nach. Wie so oft in Österreich diskutiert man weniger über Konzepte und Inhalte als über den Standort, ob in einem repräsentativen Palais an der Ringstraße oder im ramponierten Zwanz'gerhaus, ob im militärisch assoziierten Gelände des Arsenals oder im neuen Wiener Hochhausdschungel.
Was Österreich braucht, ist nicht ein neues Gebäude für seine Geschichte, sondern einen virtuellen Ort für deren Präsentation: mit allen Höhen und Tiefen, die die österreichische Geschichte zu bieten hat, aber ohne daß man sich aus dem Haus begeben muß und nach einer langen Warterei an der Kasse auf einem anstrengenden Fußmarsch durch nicht enden wollende Ausstellungssäle nichts sehnlicher als den Ausgang erwartet. Österreich braucht ein virtuelles Museum, das online zur Verfügung steht und von überall abrufbar ist, vom Schreibtischsessel, von der Schulbank oder von der bequemen Wohnzimmergarnitur aus.
Virtuelle Museen haben gegenüber den realen entscheidende Vorteile. Sie brauchen kein reales Haus, und sie können überall und zu jeder beliebigen Zeit besichtigt werden, im innersten Salzkammergut genauso wie in Salt Lake City. Will Österreich weltweit, aber auch im eigenen Land und im Schulunterricht mit seiner Geschichte in Zukunft präsent bleiben, braucht es die Präsentation in Medien der Zukunft. Daß nach vielversprechenden Anläufen im Jubiläumsjahr 1996 diese Initiativen still entschlafen sind und Österreich dieses Terrain ausländischen Anbietern überlassen hat, ist das eigentlich Traurige an der langjährigen Diskussion. Ein virtuelles Museum bietet wie ein "wirkliches" eine Schausammlung, die übersichtlich und rasch durchwandert werden kann. Der Vorteil: Diese Schausammlung kann unendlich wertvoll sein und kostet doch nicht viel. Sie versammelt alle Highlights der kulturellen Geschichte und politischen Identität, die real nicht nur nicht finanzierbar, sondern überhaupt nicht zu bekommen wären. Ein virtuelles Museum kann zweitens wie ein reales viele Depots haben und sie beliebig erweitern. Sie sind das gesamte kulturelle Erbe und Gedächtnis des Landes, und jeder Benutzer bewegt sich darin völlig frei, nach seinen Interessen. Ein virtuelles Museum braucht drittens einen wissenschaftlichen Apparat, von dem jegliche Informationen abgerufen werden können: Biographien, statistische Daten, literarische Texte und Bilddokumente. in virtuelles Museum kann maßgeschneiderte Führungen anbieten: für Kinder und Erwachsene, für Kunstinteressierte und für die Wirtschaft, für Touristen und Schüler, für Erlebnishungrige und besonders Eilige. Nicht zuletzt ist ein virtuelles Museum billig: Man braucht kein repräsentatives Gebäude, keine aufwendige Infrastruktur. keine Versicherungen und keinen Objektschutz, kein Budget für Objekte und Neuerwerbungen, keine Parkplätze und keine Verkehrserschließung. Man braucht nur ein gutes Konzept, eine leistungsfähige EDV-Ausstattung und ein engagiertes Team. Mag sein, daß Österreich hier hinter der Welt nachhinkt, weil Fremdenverkehrsstrategen um touristische Besucher fürchten. Das Gegenteil wird der Fall sein: Die Touristen werden kommen, weil sie das, was sie aus dem Internet kennen, auch einmal in Natura sehen wollen, und der Bildungsauftrag wird besser erfüllt als in manchen traditionellen Museen.

Die Meinung eines Gastautors muß sich nicht mit jener der "Presse" decken.

25.03.2002 Quelle: Print-Presse