Seitdem ist Österreichs Eliten ein – mitunter exzessiver – Hang zum selbstreflexiven Rückblick nicht mehr abzusprechen. Den Anlass dafür bieten – neben Scharmützeln, die sich aus der Tagespolitik ergeben – die diversen Gedenk- und Jubiläumsjahre. 2008 ist es wieder einmal so weit: Ins Haus stehen der Republik der 90. Jahrestag ihrer Gründung, der 75. ihres ständestaatlichen Untergangs sowie der 70. des Anschlusses an Nazi-Deutschland.
Im Mittelpunkt der offiziellen Feierlichkeiten zu diesen Anlässen wird eine großangelegte Ausstellung zur Gründung der Republik Deutsch-Österreich am 12. November 1918 stehen, die vom 12. September bis 29. März kommenden Jahres zu sehen sein wird, erklärten am Donnerstag die beiden wissenschaftlichen Leiter, der Grazer Historiker Stefan Karner und der Generaldirektor des Staatsarchivs, Lorenz Mikoletzky.
Ganz reibungslos gehen die Vorarbeiten zu dem Projekt jedoch nicht vonstatten: Während die beiden Leiter das Parlament als Ausstellungsort nennen, will Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) davon noch nichts wissen. Sie zeigte sich über das Vorpreschen verärgert: Es sei vereinbart worden, zuerst Konsens mit den fünf Klubchefs der Parlamentsparteien herzustellen – und diesen, so Prammer, gebe es noch nicht. Vor einer Entscheidung will sie ein detailliertes Konzept sehen, um zu wissen, "was wir uns ins Haus holen". Karner erklärte gegenüber der APA, dass die Organisation im Auftrag der Regierung erfolge – im Ministerratsbeschluss werde auch das Parlament als Ausstellungsort genannt.
Abgesehen von dieser Regiepanne scheint jedoch die Vorfreude zu überwiegen. Im Mittelpunkt der Schau werden mit den Jahren 1918–1920 die Anfangsjahre der Republik stehen. Ausgehend von dieser Gründungsphase sollen die wichtigsten Entwicklungsstränge der Republik samt ihren Brüchen dargestellt werden. Zielpublikum sind die 20- bis 40-Jährigen, da bei diesen laut Umfragen bereits erhebliche zeit- und demokratiegeschichtliche Wissensdefizite bestehen.
Thematisch umfasst die Schau acht Bereiche: Innen- und Außenpolitik; Soziales und Alltag; Frauen; Gesundheit, Kunst, Kultur und Medien; Sicherheit; Schule und Bildung; Kirchen und Kultus. Diese Themen sollen ineinandergreifend behandelt werden, erläutert Mikoletzky. Antisemitismus sei etwa ein religiöses wie auch innenpolitisches Phänomen. Keinesfalls ausgespart soll auch der Austrofaschismus werden. Karner: "Wir würden als Historiker ja das Gesicht verlieren, wenn wir uns vor die Karren der Parteien spannen ließen."
Wiener Zeitung 8.2.2008