Der unendlichen Geschichte nächster Teil 

VON MANFRIED RAUCHENSTEINER (Die Presse) 16.01.2006 

Es könnte die große Chance übersehen werden, die es bringen würde, ein Haus der Zeitgeschichte an das bestehende Haus der österreichischen Geschichte anzubinden. 

Es geht schon wieder um Häuser. Zu Jahresbeginn wurde die Diskussion um ein Haus der Geschichte lebhafter denn je begonnen. In der Neujahrsansprache des Bundespräsidenten kam es vor, der Bundeskanzler präzisierte seine Vorstellungen, andere stimmten in den Chor ein. Es wurden Namen genannt und hinter gar nicht so vorgehaltener Hand andere Namen. Dann war schon Älteres und längst Bekanntes ins Treffen zu führen: Der Europarat hat schon vor sieben Jahren allen Mitgliedstaaten empfohlen, ein dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vergleichbares Haus zu schaffen. In Deutschland war das auf Grund eines bemerkenswerten Parteienkonsenses möglich gewesen. Aber Deutschland ist eben anders. 

Dann hob im Sommer 2000 der sogenannte Weisenrat am Ende der EU-Sanktionen hervor, dass er mit Wohlwollen von der Absicht Österreichs vernommen habe, ein Haus der Geschichte zu schaffen. Die nächste Schraubenwindung wurde in dem Moment eingedreht, als der Ministerrat beschloss, eine Staatsvertragsausstellung zu beauftragen, die 2005 im Künstlerhaus hätte stattfinden sollen. Doch das Projekt wurde sang- und klanglos abgesagt. Dann kam es von privater Seite, durch eine Art österreichischen Weisenrat, zu einer neuen Initiative. Wieder gab es großkoalitionären Schulterschluss, und plötzlich nahm das Projekt nicht nur Gestalt an, sondern wurde auch mit der Staatsvertragsausstellung im Belvedere realisiert. 

Immer aber, und zwar schon bei der nicht zustande gekommenen Ausstellung im Künstlerhaus ebenso wie bei der Ausstellung "Das Neue Österreich", wurde dazu gesagt: Damit soll ein Anfang gemacht, ein Zeichen gesetzt werden, und nach dem Ende dieser Ausstellung sollte das Sammlungsgut ebenso wie das Know-how der Sichtbarmachung von Zeitgeschichte in einem neuen Haus, in einem neuen Projekt münden. Das ist aber nur der eine Erzählstrang. 

Der andere beginnt dort, wo schon vor vielen Jahren festzustellen war, dass die Republik mit dem Heeresgeschichtlichen Museum ja ohnedies ein Haus der Geschichte hatte, dass dieses Haus aber an räumlicher und inhaltlicher Auszehrung litt. Dem Inhaltlichen war mit einiger Mühe Abhilfe zu schaffen. Doch die Raumnot blieb. Statt sich aber mit den Überlegungen abzumühen, wie sich das "Heeresgeschichtliche" weiterentwickeln ließe und wie man seiner Raumnot Abhilfe schaffen könnte, kam aus dem zuständigen Verteidigungsministerium, aus dem Museum und aus den Kulissen von Leuten, die alles beim Alten belassen wollten, empörter Protest. Das Museum sollte Militärmuseum bleiben. 

Doch eigentlich hätte es erst dazu werden müssen, denn es war nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt mit historischen Inhalten ausgestattet worden, die das Museum erzählerisch werden ließen. Und hätte nicht der damals für das Museum zuständige Unterrichtsminister gemeint, es wäre noch zu früh, das Museum in "Nationalmuseum" umzubenennen, wäre es schon 1946, also vor 60 Jahren, zum Nationalmuseum mutiert. Tatsächlich ist es das aber in einem hohen Maß trotzdem geworden, denn ganz zentrale Stücke, die das Museum in seiner permanenten Schausammlung zeigt, sind Leihgaben von anderen Bundesmuseen, der Stadt Wien und zahllosen privaten Leihgebern. Nicht zuletzt sind es nicht-militärische Objekte. Eines hat das Museum im Arsenal aber nicht geschafft, nämlich mehr Raum zu bekommen. Und daher ist vorderhand das Ende der permanenten Ausstellung mit 1945 gegeben. 

An der Diskussion um das "Heeresgeschichtliche" ist mehreres verwunderlich: Im Museum selbst können sich manche keine andere Zukunft als die Vergangenheit vorstellen. Daher wird konsequent und krampfhaft Gesprächsverweigerung in Sachen Ausgliederung betrieben und auch die Zeit ab 1945 als etwas gesehen, das man so darstellen könnte wie die Franzisko-Josephinische Zeit. Mehr noch: Um dem Raummangel zu begegnen, wurde vorgeschlagen, die Ausstellung über die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg zu schließen. Damit ließe sich auch das Ärgernis beseitigen, dass in diesem zeitlichen Abschnitt Paramilitarismus ebenso sowie der Widerstand gegen das NS-Regime behandelt werden und auch die Kunst einen provokanten und nicht nur einen illustrierenden Charakter zugewiesen bekommen hat. 

Dagegen mit Realitätsverweigerung ankämpfen zu wollen grenzt aber an Verantwortungslosigkeit und ist auch das Eingeständnis dessen, dass man einige Jahrzehnte der Diskussion um die österreichische Identität ebenso verschlafen hat wie die Entwicklung der Museologie. Dann aber wird die große Chance übersehen, die es bringen würde, ein Haus der Zeitgeschichte an das bestehende Haus der österreichischen Geschichte anzubinden. Es geht nicht um die Umwandlung eines in der Welt einzigartigen Hauses in ein Neutrum, sondern um dessen sinnvolle Fortsetzung. Wir werden sehen, wie es weitergeht. 

meinung@diepresse.com 

Univ.-Prof. Dr. Manfried Rauchensteiner, geboren 1942 in Villach, war von 1988 bis 1992 Leiter des Militärhistorischen Dienstes im BMfLV und von 1992 bis 2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums.