Ein
zweites Museumsquartier - in Kiew
Der
Kunsthistoriker Dieter Bogner, der das Wiener MQ vor fast zwei Jahrzehnten
konzipiert hatte, wurde mit dem Masterplan beauftragt
In Kiew
soll im und um das ehemalige Arsenal ein vielfältiges Kulturzentrum entstehen.
Als Vorbild dient das Wiener Museumsquartier
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Wien/Kiew – Die Dichotomie Himmel und Hölle
liegt nahe. Denn direkt neben dem Lavra-Kloster von Kiew, einem 40 Hektar großen
Komplex mit Kirchen, deren goldene Zwiebeltürme in der Sonne glänzen, Gärten
hinab zum Dnepr und zahlreichen Höhlen, in denen die Mönche hausten, liegt das
ehemalige Mystetskyj
Arsenal, das von den Sowjets als Munitionsfabrik genutzt wurde. Seit der
Unabhängigkeit der Ukraine 1991 steht das beeindruckende klassizistische Gebäude,
1783 errichtet, leer – und verfällt zusehends.
Der Wiener Museumsfachmann Dieter Bogner verkneift sich aber das
Wort Hölle: Er spricht lieber von Himmel und Erde. Denn das Arsenal, ein 170
Meter langes Geviert rund um einen weitläufigen Innenhof, erinnert mit seinen
pfeilerbestandenen Lagerhallen an sein venezianisches Pendant, das die
Kunstbiennale für große Ausstellungen nutzt. Und hinter dem Bauwerk, dem
Zentrum zugewandt, erstreckt sich ein unbebautes Gebiet mit der Festungsanlage.
Beide Teile zusammen sollen zu einem vielfältigen Kulturzentrum
werden, das der Ukraine gibt, was sie nach den verhassten Jahrzehnten der
Fremdherrschaft recht dringend braucht: eine Identität. Getragen wird das
Projekt daher von Präsident Wiktor Andrijowytsch Juschtschenko.
"Es geht nicht um Nationalismus", so Dieter Bogner gegenüber
dem Standard. "Aber die Menschen wollen ihre Kultur dargestellt wissen,
also eine Auseinandersetzung mit der Ukraine. Ein gegenwartsbewusstes
historisches Museum ist daher ganz wichtig."
Eine staatliche Errichtungsgesellschaft wurde bereits gegründet.
Und diese beauftragte Bogner, der 2006 einen Masterplan abgeliefert hatte, kürzlich
mit einem Feinkonzept. Denn als Vorbild für das dreistöckige Arsenal mit einer
Nutzfläche von 30.000 Quadratmetern dient das Wiener Museumsquartier in den
ehemaligen Hofstallungen, das Bogner 1989 konzipiert hatte.
Auch für Kiew schwebt ihm eine Mischnutzung inklusive
gastronomischer Einrichtungen, die im Lavra-Kloster fehlen, vor. Im Arsenal
selbst sollen ein Besucherzentrum, verschiedene, auch künftig eigenständige
Museen (für Volkskunde, Theater und Kino, archäologische Schätze, Kinder
etc.) sowie ein Auditorium, eine Kunsthalle, ein Event-Space (für Clubbings,
Mode) und ein kulturwissenschaftliches Studienzentrum untergebracht werden.
Zudem will man ein Museum zeitgenössischer Kunst, eine Konzerthalle und ein Gebäude
für die Creative Industries errichten.
Allein die Adaptierungskosten schätzt Bogner auf 100 Millionen
Euro. Eine Realisierung (inklusive Architekturwettbewerb) hält er binnen fünf
Jahren für machbar. Aber zuerst muss die politische Entscheidung fallen. Wie
die vorgezogene Parlamentswahl am 30. September ausgeht, ist daher von großer
Bedeutung.
Einen langen Atem zu haben ist Bogner aber gewohnt. Auch das
Museumsquartier brauchte mehr als ein Jahrzehnt bis zur Umsetzung. Und eines
stimmt den Museumsplaner hoffnungsfroh: Wie einst in Wien werden bereits die
desolaten Hallen von Kulturveranstaltern genutzt ...
Museen
zum Wohlfühlen
Dieter Bogner betreut Projekte in der halben Welt
1994 schied der Kunsthistoriker Dieter Bogner enttäuscht aus der
Errichtungsgesellschaft für das Museumsquartier aus: Er befürchtete (im
Endeffekt grundlos), dass von seinem Konzept eines multifunktionalen und auf
Zeitgenossenschaft ausgerichteten Kulturareals abgegangen werden könnte, und gründete
die Firma bogner.cc, die sich in erster Linie und mit großem Erfolg
museologischen Fachplanungen widmet.
Bogner, Jahrgang 1942, arbeitet ganzheitlich: "Der Kustode
sieht meist nur die Sammlung, der Kurator die Ausstellung, der Architekt seine
Visionen, aber wenn ich ein museologisches Programm entwickle, muss ich alle
Aspekte beachten, auch die technischen und die infrastrukturellen." Er
betreute u. a. die Neugestaltung des Stifts Klosterneuburg und entwickelte die
Museumsleitpläne für Salzburg und das Joanneum in Graz. Sein Credo: Der
Besucher muss sich im Museum wohlfühlen.
Derzeit betreut Bogner, nebenbei Vorstandsvorsitzender der Kiesler
Privatstiftung in Wien, Projekte in Kassel, Essen, Warschau und Chengu (China).
Zusammen mit seiner Frau Gertraud sammelt er konkrete Kunst: Viele Räume seines
Schlosses Buchberg wurden von Künstlern ausgestaltet.
(Thomas Trenkler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.8.2007)