Historikerdebatte in Frankreich
Wenn Frankreichs Staatspräsident im kulturellen Sektor versucht, Initiativen zu ergreifen, kann man fast sicher sein, dass es Probleme gibt. So auch jetzt mit seinem Ansinnen, ein Haus der Geschichte Frankreichs, ein nationales Geschichtsmuseum zu gründen.
Kaum nimmt das Projekt konkretere Formen an, schlägt dem Präsidenten, vor allem von Seiten der französischen Historiker, geballte Skepsis entgegen - fast ist so etwas wie ein Historikerstreit entbrannt.
In einem öffentlichen Brief in der Tageszeitung "Le Monde" Ende
Oktober bezeichneten neun angesehene französische Historiker, unter
ihnen Jacques Le Goff, das Projekt eines Hauses der französischen
Geschichte schlicht als gefährlich und als Fortsetzung eines
neonationalen Diskurses derer, die heute in Frankreich an der Macht
sind, als Symbol eines Frankreichs, das sich auf sich selbst
zurückzieht. Es sei erstaunlich, schrieben sie, dass man das Projekt
eines "großen, historischen Museums des 21. Jahrhunderts" auf die
Geschichte Frankreichs beschränken wolle in Zeiten, da die
Globalisierung und Europa eine immer wichtigere Rolle spielen.
Präsident Sarkozy habe die Geschichte in den letzten Jahren derart oft
instrumentalisiert, dass das Misstrauen einfach instinktiv sei, betonte
der Historiker Henri Rousso und sein Kollege, Nicolas Offenstadt, meint:
"Das ist ganz klar ein ideologisches Projekt und ist vom Präsidenten
der Republik auch als solches präsentiert worden. Er hat es in einer
Rede 2009 gesagt: das Museum soll die Identität des Landes stärken und
das Bedürfnis nach Sinn befriedigen. Dazu kommt: Auch das umstrittene
Ministerium für Nationale Identität war mit diesem Projekt befasst.
Dieses Museum wird das historische Schaufenster dieser Debatte über die
nationale Identität sein."
In der Tat hatte Nicolas Sarkozy die Gründung des Museums
angekündigt im Rahmen einer ausgesprochen wertkonservativen Rede über
Frankreichs nationale Identität:
"Wir müssen auf unsere Geschichte stolz sein und das Erlernen der
Geschichte Frankreichs zu einer Priorität für die Kinder in unseren
Schulen machen. Deswegen habe ich an dem Gedanken festgehalten, ein
Museum der französischen Geschichte zu schaffen, das alle Kinder
unserer Schulen besuchen werden."
Rund 60 Millionen Euros werden für das Museum zur Verfügung stehen,
das wegen knapper Mitteln nicht in einem Neubau untergebracht werden
soll, sondern in einem Teil des französischen Nationalarchivs, einem
historischen Gebäudekomplex im alten Pariser Marais-Viertel auf einer
Fläche von drei Hektar.
Dabei ist das Konzept des Museums noch reichlich vage. Nicolas Lemoine,
Präsident des Nationalarchivs sagt: "Das deutsche historische Museum in
Berlin, das heute so etwas wie eine Referenz ist, geht von den Kelten
bis Angela Merkel, wenn ich so sagen darf. Ich weiß nicht, ob wir von
den Galliern bis Nicolas Sarkozy gehen werden, aber die Idee ist, dass
man eine breite Sequenz der Geschichte unseres Landes im Ablauf zeigt,
aber natürlich auf kritische Art und Weise."
Den kritischen Historikern war aber bereits 2008 eine Formulierung
im Konzept für das Museums aufgestoßen, wonach die neue Einrichtung die
"Seele Frankreichs" veranschaulichen sollte.
Trotzdem sagt Jean Francois Hébert, der Projektleiter für das Haus der
französischen Geschichte, er verstehe die Aufregung der Historiker
nicht:
"Als man das Centre Pompidou vor über 30 Jahren geschaffen hat, hat man
ihm vorgeworfen, es wolle bestimmen, was zeitgenössischen Kunst ist,
man werde dort nur Künstler sehen, die dem Präsidenten gefallen. Nichts
davon ist wahr geworden. Die kulturellen Einrichtungen unseres Landes
haben gewisse Garantien und akzeptieren politische Einflussnahme nicht,
das wäre auch der Tod des Projektes."
Frankreichs Kulturminister, Frederic Mitterand, verteidigte jüngst das
Projekt mit dem Argument, das Land verliere sein Gedächtnis, dem müsse
abgeholfen werden. Wenn alles gut geht, wird das "Haus der
französischen Geschichte" 2015 seine Pforten öffnen.
Text: Hans Woller · 10.01.2011