Am 25.Juli 1934 wurde Bundeskanzler Engelbert Dollfuß
im Kanzleramt am Ballhausplatz von Nazi-Putschisten ermordet. Unter Kanzler
Schüssel wurde eine kleine Andachtsstätte eingerichtet, mit Dollfuß-Bild
und einer mächtigen Kerze. Es fanden auch Gedenkgottesdienste statt. Unter
Kanzler Gusenbauer wurden Bild und Kerze weggeräumt. Aber für den diesjährigen
Nationalfeiertag, - und nur für diesen, an dem die Besucher durch das
"open house" strömen - gab Gusenbauer eine Tafel in Auftrag, mit
deren Text der eher kritische Zeithistoriker Gerhard Botz beauftragt wurde. Er
soll die immer noch umstrittene Figur des klerikal-konservativen Kanzlers und
Diktators Dollfuß in den richtigen Kontext stellen: einerseits "Märtyrer"
im Kampf gegen die Nazis und für die österreichische Eigenstaatlichkeit,
andererseits Demokratiezerstörer und "Arbeitermörder".
So heikel kann Jahrzehnte alte Geschichte noch immer
sein. Die Episode ist nicht uninteressant angesichts der Tatsache, dass sich
SPÖ und ÖVP in ihrem Koalitionsabkommen 2007 unter dem Titel
"Verantwortungsbewusster Umgang mit der Vergangenheit" im Grundsatz
darauf geeinigt haben, ein
"Haus der Geschichte der Republik Österreich" (HGÖ) zu errichten.
Oder genauer, zunächst einmal ein detailliertes Konzept ausarbeiten zu
lassen. Dieses Konzept, erstellt von einer Gruppe unter der Leitung
der Historiker Günter Düriegl und Stefan Karner, liegt seit August vor und läuft
in der Diskussion unter "Roadmap".
Die Gründung der Republik erfolgte vor fast 90
Jahren, im November 1918, als die Monarchie nach einem katastrophal verlorenen
Weltkrieg auseinanderfiel. Man könnte also meinen, es sei Zeit für eine
abschließende Betrachtung. Bundespräsident Heinz Fischer vertritt diese
Meinung nachdrücklich. Andererseits existieren bereits zahlreiche Museen,
Institutionen, Veröffentlichungen, ORF-Serien
usw. über das Thema. Ein HGÖ müsste das wohl toppen.
Die Autoren der "Roadmap" hielten unter
"Zielvorgaben" fest: "Die Geschichte Österreichs seit 1918 ist
eine Geschichte eines langen und schwierigen historischen Lernprozesses, der
schließlich zur Ausbildung einer an den Prinzipien der Demokratie und
Sozialen Marktwirtschaft ausgerichteten Zivilgesellschaft geführt hat".
Das Stichwort ist "Lernprozess". Das HGÖ
soll offenbar Österreichs erfolgreichen Weg aus den Verirrungen der radikalen
Ideologien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreiben. Aber nicht so
schnell: Kanzler Gusenbauer hat die "Roadmap" durch ausländische
Experten "evaluieren" lassen.
Die Evaluierung liegt jetzt brandneu vor und stellt
viele neue Fragen, vor allem die, was ein "Haus der Geschichte der
Republik Österreich" eigentlich soll. Oder sein soll.
Am radikalsten ist Klaus Müller von der "Kmlink
Museum Consultancy" in Amsterdam: "Dem vorliegenden Konzept fehlt
die Bestimmung des Kernauftrags des Hauses der Geschichte ... Dabei ist die
entscheidende Frage eines neuen Museums genau diese: Worin besteht seine
Dringlichkeit? Was ist seine Aufgabe? ... Soll das Haus der Geschichte einen
Beitrag zur Stärkung der demokratischen Kultur in Österreich leisten? Für
welche Werte und Grundüberzeugungen in diesem Streit steht das Haus?"
Und: "Der angestrebte innovative Platz in der internationalen europäischen
Museumslandschaft ergibt sich nicht aus dem vorliegenden Konzept."
Anja Dauschek, Leiterin des Planungsstabs Stadtmuseum
in Stuttgart stellt ebenfalls die skeptische Frage nach der
"Innovation" des Konzepts, schlägt einen "konzeptionellen
Neuanfang" vor, bemäkelt weiters ein fehlendes "mission
statement" und fordert, dass "ein künftiges HGÖ sich den Fragen
der Globalisierung und der Migration in Österreich stellt".
Etwas milder Prof. Georges-Henri Sotou,
Zeitgeschichtler an der Sorbonne in Paris - aber auch er konstatiert in der
Roadmap "einen gewissen Zwiespalt" zwischen jenen, die an ein
historisches Museum vom herkömmlichen Typ denken und denen, die neue Wege
gehen wollen.
Schließlich meint auch Prof. John W. Boyer von der
University Chicago, dass "das Projekt noch gründlich durchdacht werden
muss".
Gusenbauer hat jetzt diese "Evaluierung" an
seinen Koalitionspartner Willi Molterer übergeben. Dessen Reaktion steht noch
aus. Ob damit eine neue Front in der großkoalitionären Auseinandersetzung
aufgemacht ist?
Im Hintergrund steht nämlich Misstrauen, ob der
jeweils andere und seine Experten die Geschichte nicht in seinem Sinne
(um)deuten will.
Brutal gesagt: Gusenbauer fürchtet, dass Stefan
Karner, der als renommierter Wissenschaftler, aber als
"Vertrauensmann" von Ex-Kanzler und Dollfuß-Fan Schüssel gilt, zu
großen Einfluss im HGÖ-Komplex erhält. Dritte, wie der grüne
Kultursprecher Wolfgang Zinggl, befürchten eine "großkoalitionäre
Grottenbahn nach einem veralteten Museumskonzept der 80er-Jahre".
Davon abgesehen, erscheinen wichtige Fragen wirklich
noch nicht ausreichend geklärt: Soll das HGÖ ein "Nationalmuseum"
werden? (Nein, sagt die Roadmap): Oder ein österreichisches Identitätsmuseum?
(schon eher, sagt die Roadmap). Wie haben das andere in Europa gelöst? Was
sagen europäische und österreichische Museumsexperten und Historiker?
(Hans Rauscher/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 10.
2007)
STANDARD:
Die drei grauen Kunststoff-Hüte von Erich Honecker - sind
die echt ?
Hütter:
Die sind echt. Die gehörten zur Ausstattung des SED-Politbüros.
Die hatten auch einheitliche Regenmäntel. Auch die Sitzgruppe aus Baumstämmen,
auf denen Gorbatschow, Kohl und Genscher im Kaukasus die deutsche Vereinigung
sozusagen fixierten, sind echt.
STANDARD:
Diese Unzahl von Objekten - ist das der Kern des Hauses ?
Hütter:
Unsere Aufgabe ist auch das Sammeln. Wir haben 450.000
Objekte, davon sind in den ständigen Ausstellungen in Bonn und Leipzig 7000
bzw. 3000. Natürlich sind nicht alles Originale. Aber wenn anhand der
Exponate unter den Besuchern ein Gespräch entstehen kann, zwischen Kulturen
und Generationen, dann reicht das in der Nacharbeit weit über den
eigentlichen Besuch hinaus. Das ist das Wesentliche eines modernen Museums,
dass der Besucher nicht rezeptiv hindurch schlendert, sondern zum aktiven
Nutzer wird. Warum nicht auch mal Emotion wecken.
STANDARD:
Zur Museums- Didaktik: Die Texte zu den Objekten sind äußerst
knapp.
Hütter:
Für uns sind die Objekte, auch die
Ton- und Filmdokumente,
die Hauptträger. Allerdings müssen die Ausstellungsgegenstände
kontextualisiert werden. Das Objekt muss in einen Gesamtzusammenhang
eingebettet sein. Selbst wenn ein Objekt wie der VW-Käfer erkannt wird, was
soll es aussagen? Der Käfer kann für wachsende Mobilität oder für das
Wirtschaftswunder stehen.
STANDARD:
Die Führung der Ausstellung ist aufsteigend. Von den Trümmern
1945 bis zur Wiedervereinigung. Absicht ?
Hütter:
Das ist eine reine Architekturidee gewesen, die wir schon
angetroffen haben. Aber gleichwohl ist das Bild stimmig.
STANDARD:
Wie ist die Abgrenzung zum Deutschen Historischen Museum
in Berlin ?
Hütter:
Wir beschäftigen uns mit der deutschen Geschichte seit
1945, das DHM mit den letzten beiden Jahrtausenden. Im Rahmen dieses
chronologischen Durchganges seit dem Sieg der Germanen über die Römer im
Teutoburger Wald stellt die Geschichte seit 1945 einen kleinen Teil dar, bei
uns ist es die zentrale Zeitachse. Die Objekte in unserer Ausstellung sind stärker
in Szene gesetzt, als das in Berlin der Fall ist. Es ist doch spannend, dass
man zwei Bundesmuseen erleben kann, die durchaus unterschiedliche Stile
pflegen.
STANDARD:
Bei der Ausstellung werden Wertungen sehr sparsam
eingesetzt.
Hütter:
Wir wollen ganz bewusst keine Wertung vorgeben, sondern
Informationen geben, dass der Besucher sich sein Bild machen kann, wir bieten
die Materialien auch zu gegensätzlichen Meinungen an. Das ist unsere
wesentliche Funktion: zur eigenen Meinungsbildung anzuregen.
STANDARD:
Die Frage nach der deutschen Identität wird hier so nicht
gestellt.
Hütter:
Das ist nicht die Leitfrage hier in Bonn. Die Virulenz der
Frage hat sich nach der Wiedervereinigung etwas gelegt. Die Dauerausstellung
wurde nicht errichtet, um Identität zu schaffen.
STANDARD:
Was würden Sie gern in einem Haus der Geschichte der
Republik Österreich sehen?
Hütter:
Ich kann mich auf die Empfehlung des Europarates berufen:
Den Mitgliedsstaaten wird dort empfohlen, Museen nach dem Vorbild des Hauses
der Geschichte in Bonn zu errichten. Aber grundsätzlich: Es sollte ein
Kommunikationsort sein, besucherorientiert angelegt und erlebnisorientiert.
Dahin gibt es viele Wege.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. 10. 2007)
Wien - Das von der Koalition geplante "Haus der
Geschichte der Republik Österreich" (HGÖ) hat noch kein endgültiges
Konzept. Aber schon einen möglichen Standort. Wenn es nach Bundeskanzler
Alfred Gusenbauer (und Wiens Bürgermeister Michael Häupl) geht, wird das HGÖ
auf der Donauplatte entstehen, stadtauswärts gleich links von der Reichsbrücke,
im Schatten der beiden geplanten Riesentürme von Dominique Perrault (siehe
Illustration) und praktisch vor der "Copa Kagrana". Außerdem soll
es nach dem Wunsch des Kanzlers eine "signature architecture"
bieten. Auch um auf die erhofften 250.000 Besucher pro Jahr zu kommen.
Das Geld dafür müsste zumindest großteils
Finanzminister und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer hergeben. Demnächst sollen
Molterer und Gusenbauer den Stand der Dinge in Sachen HGÖ besprechen.
"Es wird eine gemeinsame Lösung geben", sagt ein Sprecher Molterers.
Es liegt ja eine vom Kanzleramt in Auftrag gegebene
"Evaluierung" jener "Roadmap" vor, die vorläufig noch als
Grundlage für das HGÖ-Projekt dient. Diese Evaluierung durch vier
internationale Experten ist allerdings relativ kritisch, was die
"Kernaufgabe" des Museums betrifft.
Es gibt ausländische Beispiele, die von der
Historikerkommission für die Erarbeitung der "Roadmap"
auch besucht wurden. Das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland" in Bonn bietet mit einer Fülle von Objekten (etwa
Salonwagen Hermann Görings, der auch von Adenauer und Willy Brandt benutzt
wurde) eine chronologisch erzählte Geschichte - auch Trivialgeschichte - des
Aufstiegs aus den Nachkriegstrümmern bis heute (www.hdg.de).
Das "Deutsche Historische Museum" im Zeughaus in Berlin (mit einem
Anbau von I. M. Pei) schlägt gleich den Bogen von den Germanen über das
Heilige Römische Reich bis ins 20. Jahrhundert (www.
dhm.de). Beide sind auf Initiative des "ewigen Kanzlers" Helmut
Kohl entstanden, der die deutsche Geschichtsbetrachtung von der Fixierung auf
den Nationalsozialismus lösen und ein breiteres Panorama bieten wollte.
Der Effekt ist jeweils beeindruckend, aber nicht
unbedingt vorbildhaft.
Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, der der
"Roadmap"-Gruppe bewusst nicht angehörte und in Sachen HGÖ auch
Gusenbauer berät, ist gegen eine mit Artefakten unterfütterte chronologische
Erzählung "Wie sich die Republik aus Not und Hass zur heutigen
Erfolgsstory entwickelte".
Exponate im Kontext
Ohne Exponate werde man nicht auskommen, aber sie müssten
in einen Kontext gestellt werden. Und der solle durchaus provokativ wirken:
"Man sollte sich auf wenige, zentrale Themen konzentrierten, die aber den
Stammtisch aufregen. Es darf kein Museum für Historiker werden, das ist es
jetzt, sondern es muss die Mythen der Nation genau hinterfragen. Sonst geht
uns ja keiner hinein. Am besten übergibt man das Projekt professionellen
Ausstellungskreativen". Man möge sich etwa das neue
"Europamuseum" in Brüssel ansehen (Europamuseum).
Einzelne Großereignisse kön- ne man von verschiedenen Standpunkten
untersuchen.
Und weil der Verdacht einer "großkoalitionären
Grottenbahn" (der grüne Kultursprecher Zinggl) schon im Raum steht, könne
man, so Rathkolb, durchaus auch die Sicht des sogenannten "Dritten
Lagers" berücksichtigen. Denn die Geschichte der Republik, besonders der
Ersten, sei über weite Strecken auch die eines starken Deutschnationalismus,
sagt Rathkolb, Herausgeber der Kreisky-Erinnerungen. Rathkolb äußert sich
auch einigermaßen undiplomatisch über das "Roadmap"-Konzept (unter
der Federführung von Günter Düriegl und Stefan Karner): "Ohne
Pfiff." Eben- so über die beiden Ausstellungen zum Erinnerungsjahr 2005,
die in der "Roadmap" als mögliche Vorbilder für die Gestaltung des
HGÖ genannt wurden: "Das neue Österreich" im Belvedere (Rathkolb:
"brav") und "Österreich ist frei" auf der Schallaburg
("Rumpelkammer").
Die Schallaburg-Ausstellung wurde von Stefan Karner
gestaltet, der sich auch für das HGÖ eine objektorientierte Machart
vorstellt und die Bevölkerung zu Ablieferungen aufrufen will: "Der
Dachboden ist das Archiv der Österreicher." Karner wird übrigens
gemeinsam mit dem Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, Lorenz
Mikoletzky, im März 2008 die Ausstellung "90 Jahre Republik Österreich"
gestalten, die von etlichen Eingeweihten als Vorwegnahme des HGÖ gesehen (befürchtet)
wird. Karner wollte nichts sagen, ehe er nicht die "Evaluierung"
kenne.
Keine "herkömmliche Nationalgeschichte"
Wenn auf der Donauplatte ein architektonischer
Meilenstein entsteht, dann darf der Inhalt des HGÖ keine "herkömmliche
Nationalgeschichte" sein, darin sind sich die meisten Experten einig.
"Es darf keine traditionelle Erfolgsgeschichte in Koalitionsdarstellung
werden", sagt Zeithistoriker Gerhard Botz. "Entscheidend ist, dass
es kein Museum wird" (Günter Düriegl).
Unbedingt müsse die zentrale Rolle Österreichs als
"großer mitteleuropäischer Staat vor 1918" (John Boyer, University
of Chicago) und selbstverständlich Österreich als Einwanderungsland
dargestellt werden.
Denn wenn 30 Prozent der Schüler, die
durchmarschieren werden, einen "Migrationshintergrund" haben, wäre
es ziemlich sinnlos, sie ausschließlich mit Ikonen des "echten Österreichertums"
zu konfrontieren.
(Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.10.2007)
"Es gibt keine
Nationalgeschichte"
Hans Ottomeyer, der Direktor des
Deutschen Historischen Museums in Berlin im STANDARD-Interview
Ein "Gegenkonstrukt" zur Unwissenheit und Geschichtsverdrossenheit
der Jugend sei das Deutsche Historische Museum in Berlin, sagt sein Direktor
Hans Ottomeyer.
STANDARD: Ihr Museum beginnt bei den Germanen.
Ottomeyer: Die Frage war: Soll man Geschichte verengen auf
Faschismus, Militarismus oder eine lange Erzählung bieten, beginnend mit der
römischen Zivilisation in Germanien vor dem Hintergrund der germanischen und
keltischen Stammeskultur?
STANDARD: Was soll überhaupt ein "Haus der Geschichte"?
Ottomeyer: Ein Museum kann Selbstvergewisserung bringen. Das
bedeutet, kritisch auf die eigene Geschichte zurückzuschauen. Das geht mit
den authentischen Zeugnissen, die uns Geschichte hinterlassen hat. Das ist
kein Trödel. Und: Die Unbildung unserer Schulabgänger ist schon bestürzend.
Die Schulbausbildung hat sich seit den 60er-Jahren von der Vermittlung der
Geschichte, hat sich ganz fern von der Kulturgeschichte gestellt. Wir sind ein
Gegenkonstrukt, um dieser Unkenntnis und Geschichtsverdrossenheit abzuhelfen.
Ich schäme mich nicht, unseren Studenten zu vermitteln, was eine Kirche ist
und was Menschen früher drin gemacht haben. Die fragen das echt.
STANDARD: Die Frage der Fragen: Wie deutsch ist es?
Ottomeyer: Wir haben am Anfang sehr klar festgestellt, dass Deutsch
keine Rasse, keine Nation ist, sondern eine Volkssprache, im Gegensatz zu
Latein. Wir haben dann gezeigt, dass dieser Sprachbegriff zunehmend auf ein
Territorium mit dramatisch wechselnden Grenzen angewendet wird - in der großen
Landkartenprojektion sehen Sie das Heilige Römische Reich in seinen
verschiedenen Formen. Man muss sich auch ganz klar machen, es gibt keine
Nationalgeschichte. Jede Nationgeschichte ist auch immer die Geschichte der
Nachbarländer.
STANDARD: Das gilt ja wohl auch für Österreich.
Ottomeyer: Es gibt keine Nationalgeschichte, nur eine europäische
Geschichte. Das war auch etwas Befreiendes, dies in unserer Dauerausstellung
umzusetzen. Ich bin kritisiert worden, dass ich nicht versucht hätte, die
Geschichte des nationalen Gedankens zu erzählen, sondern mich da
rausgestohlen hätte in die Geschichte Deutschlands und Europas. In einer Erlösung
aus der Geschichte durch unsere gemeinsame europäische Tradition. Da
kritisieren oft ausländische Besucher: Was hat denn das mit Deutschland zu
tun, dass Napoleons Hut hier hängt? Aber er hat das Heilige Römische Reich
gesprengt. Das Faszinierende finde ich, dass wir zwar in Europa an die 70 Ländersprachen
haben, aber eine gemeinsame nonverbale Tradition über Bilder, Symbole,
Kleidung, Lebensgewohnheiten.
STANDARD: Welchen Ratschlag hätten Sie als Museumsdidakt für ein
österreichisches Haus der Geschichte der Republik?
Ottomeyer: Man muss ganz sicher den Eingang bei 1918 wählen. Man
sollte anbieten, die Geschichte bis 2000 zu begehen. Man müsste auch einen
Weg anbieten, der von der Geschichte des Hauses Österreich spricht, davon, wo
Österreich herkommt: als Erzherzogtum und als habsburgische Erblande. Ohne
das kann ich die weitere Geschichte nicht verstehen. Man wird auf die
Geschichte des Landes, seine Bevölkerung, auf seine Mentalitäten, auf die
Religionszugehörigkeit und seine doch sehr unterschiedliche Zusammensetzung
nicht verzichten können.
(DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.20.2007)
Zur Person
Hans Ottomayer (61), Literatur- und Kunstgeschichtler, seit 2000 am HM in
Berlin.