Zelman nervt - und mit Recht
("Der Standard" 11. März 2002)
Peter Diem
... Was mich nervt, ist die geringe Faktenhaltigkeit und Wirklichkeitsnähe der ganzen Diskussion um das ehemalige Stadtschulratsgebäude. Dabei geht es nicht einmal so sehr um die Frage, ob ein Fünfparteienbeschluss des Nationalrats revoziert werden soll oder nicht. Es geht vielmehr um die Sache selbst, nämlich um die Frage, wie ein Haus der österreichischen Geschichte beschaffen sein soll, was es leisten kann und wer es sich leisten kann. Es beginnt wie immer schon bei den Begriffen. "Haus der Toleranz" oder "Haus der Geschichte" ? Die Regierungserklärung vom 9. Februar 2000 spricht salomonisch von der "Zusammenführung der beiden vorliegenden Konzepte für ein Haus der Geschichte der Republik Österreich und für ein Haus der Toleranz."
Zwei Jahre sind seither vergangen, Wolfi und Susi hatten oder machten sich andere Sorgen als die Schaffung einer Heimstatt für demokratische Werte, Geschichtsbewusstsein und österreichische Identität. Auch die zuständige Frau Bundesminister gab bisher der Lösung materieller Fragen den Vorzug. Aber die Zeit läuft, und kaum ein Projekt ist angepackt worden, das nicht solide im Unterbau verankert wäre. Überbaufragen scheinen diese Regierung nicht zu interessieren, was schade ist, ja eine Schande für ein
christlich- demokratisch-freiheitliches Kabinett. Denn nicht vom Brot allein leben die Menschen im neuntreichsten Land der Welt. Gerade die Jugend, mag sie es vielleicht auch nicht eingestehen, wäre froh, wenn es noch etwas gäbe jenseits von Computerspiel, Diskothek und Snowboard.
Bleiben wir aber zunächst bei den Begriffen: die Bezeichnungen beider Konzepte aus dem Jahre 1999 greifen zu kurz: "Toleranz" ist nur einer der Werte einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Es besteht die Gefahr, dass sich ein "Haus der Toleranz" vor allem den Schuldverstrickungen Österreichs widmen würde und im Extremfall Geschichte mit der Shoah gleichsetzen könnte.
Freilich bemüht sich das Konzept von Anton Pelinka et al. , durch eine besondere Betonung zentraleuropäischer Aspekte dieser Gefahr zu entgehen. Die Vorstellungen von Stefan Karner und Manfred Rauchensteiner wieder leiden unter der Beschränkung auf die Zeit nach 1918. Gerade an den Entwicklungen der letzten Monate, insbesondere am Aufbrechen österreichisch-tschechischer
Gegensätze, wird uns bewusst, dass die Wurzeln vieler Fehlhaltungen und Probleme weiter zurückreichen als nur in die Erste Republik. Ohne Zweifel sind die Ereignisse des 20. Jahrhunderts nicht ohne eine Analyse des 19. Jahrhunderts erklärbar. Ob positiv oder negativ, ob Minderheitenschutz oder Antislawismus, ob Arbeiteremanzipation oder Antisemitismus - die Wurzeln
für den Kampf der Ideen und die Schlachten der Völker im letzten Jahrhundert liegen im vorletzten.
Aus diesem Grunde sollte man von vornherein von einem "Haus der österreichischen Geschichte" sprechen und bei 1806 und nicht bei 1918 anfangen. Eine weitere Überlegung betrifft die museumspädagogischen Grundsätze. Noch stark unter der Faszination des begonnenen Internet-Zeitalters schwelgen beide Konzepte in Begriffen wie "virtueller Rundgang" und "virtuelle Vernetzung".
Mittlerweile haben über 90 Prozent (!) aller österreichischen Teenager Zugang zum Internet. Würde sich die Museumspädagogik auf Computeranimationen und andere virtuelle Vorgänge konzentrieren, wäre das das Gegenteil von attraktiv. Die zeitgeschichtlichen Museen unserer Nachbarländer - das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn
und das Ungarische Nationalmuseum in Budapest beweisen (ebenso wie das Wiener Heeresgeschichtliche Museum !) die ungebrochene Kraft des authentischen Objekts. Dass
moderne Informationstechnologie daneben nicht fehlen darf, ist gleichwohl unbestritten.
Es geht also vor allem um museumspädagogische und museumsorganisatorische Fragen,
für die sachliche Lösungen gefunden werden müssen, die weit über Genius
loci und Ringstraßendekor hinausgehen.
Es geht um eine adäquate Selbstdarstellung Österreichs, die Freud und Leid, Erfolg und Scheitern, Wien und die Länder, die drei großen weltanschaulichen Lager und - auch das ist unbestritten - Licht und Schatten unserer neuesten Geschichte präsentiert.
Schonungslos dort, wo dies notwendig ist, aber auch stolz dort, wo dies gerechtfertigt ist.
Ein Haus der österreichischen Geschichte muss versuchen, neben die objektbezogene Darstellung dessen, was war und was geworden ist, auch das zu stellen, was hätte sein sollen und was sein soll: die Menschenrechte, die Werte der Demokratie, des freiheitlichen und des sozialen Rechtsstaates, der Toleranz und der übernationalen Gesinnung, wie es traditionelles Österreichertum in modernem europäischen Geist auszeichnet. Insofern ist es in der Tat richtig, eine Zusammenführung der
beiden vorliegenden Konzepte anzustreben. Dabei besteht die erste und wichtigste Aufgabe nicht darin, einen Ort oder ein Gebäude zu finden, sondern Sinn und Zweck, Methode und Mittel zu
definieren. Wie soll das geschehen? Mag man darüber auch lächeln, es gibt nur einen Weg, und für den ist es höchste Zeit: das interministerielle Komitee unter Einbeziehung der Länder und Verbände.
Die Bundesregierung wird höflichst gebeten, einmal einen immateriellen Zwischenspurt einzulegen.
Die Kulturnation, wenn sie eine sein sollte, wird es ihr danken. Eben ist der beste Fachmann für Museumsorganisation des Landes, Ministerialrat Rudolf Wran, in Pension gegangen - gibt es einen besseren Vorsitzenden? Vor kurzem hat Kurt Scholz ein neues Amt angetreten, das ihn vielleicht nicht so stark fordert wie sein früherer Job. Und auch Erich Reiter, ein Grundsatzdenker von Rang, könnte gebeten und abkommandiert werden - was für ein prächtiges, unabhängiges Triumvirat ! Andere - ich meine solche, die gern zupacken - gibt es ebenfalls, man
muss sie nur bitten. Neben den oben genannten Konzepten existiert ein ausgezeichnetes museumspädagogisches
Papier von Sabine Fuchs (Salzburg), in welchem darauf hingewiesen wird, dass die
Landeshauptleutekonferenz schon vor dem Nationalrat am 24. November 1988 die Errichtung eines Museums zur österreichischen Zeitgeschichte begrüßte. Vielleicht kommt man zu dem Entschluss, dass es zunächst einer Österreichischen Nationalstiftung als Trägerschaft für eine solche Institution bedarf, vielleicht findet man eine noch staatsfernere Konstruktion. Alles ist möglich. Und einen
Tagungsort gibt es inzwischen auch schon, besonders in der wärmeren Jahreszeit: das ehemalige Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten. Wie stolz waren wir doch auf das "Zwanzgerhaus", schon 1958 in Brüssel bei der Weltausstellung. Und jetzt soll es eine Diskothek werden? Darf denn das alles wahr sein?
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