KOMMENTAR
Gemeinsame Geschichte –
endlich neu gedacht
Alfred Payrleitner über die Chancen
der Nachdenkpause zu den Festtagen
Hohe Feiertage haben doch ihre
Wirkung. Selbst wenn sie durch Kitsch, Stress und Geschäft beeinträchtigt
werden. Sie sind nicht nur eine Frage des individuellen Glaubens,
sondern auch eine der gesellschaftlichen Qualität. Ein Ausweis dessen,
wofür sich ein Land hält.
Im konkreten Fall ist ein gelungenes Weihnachtsgeschenk der Republik an
sich selbst zu melden:
Knapp vor den Feiertagen kam vom Bundeskanzler die Zusage, für die
geplante Jubiläumsausstellung zum 50. Jahrestag der
Staatsvertragsunterzeichnung zwei Millionen € beizusteuern. Das
scheint nicht viel angesichts sonstiger Milliardenaufwendungen.
Aber es hat eine Vorgeschichte: Ursprünglich
wollte man diesen Anlass zwar umfassend und feierlich würdigen. Doch
dann kam die große Sparwelle und die Ausstellung sollte gestrichen
werden – aus Geldmangel. Worauf sich spontan ein Aktionskomitee
zusammenfand (Hannes Androsch, Herbert Krejci, Peter Weiser), das
versprach, mittels Sponsoren zwei der erforderlichen sechs Millionen €
aufzutreiben. Michael Häupl sagte im Namen Wiens zwei weitere Millionen
zu – unter der Bedingung, dass der Bund den Rest spendieren müsse.
Was nun geschehen ist. Die Ereignisse rings um das Jahr 1955 werden also
ausführlich dokumentiert werden können.
Das ist wichtig: Denn damals war die Unabhängigkeit Österreichs ein
Signal, das ganz Mitteleuropa veränderte: Vom ungarischen Aufstand bis
zum Prager Frühling, vom Entstehen der polnischen Solidarnosc und der
Wahl von Papst Johannes Paul II bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 gab
es eine Kette von Folgewirkungen. So beschreibt es ein Kenner,
Deutschlands Altkanzler Helmut Schmidt.
Diesen Anlass nicht groß zu nützen, wäre eine Blamage gewesen. Er
bietet die Gelegenheit, das Wissen um die damalige Zeit einer neuen
Generation nahe zu bringen. Die Voraussetzungen für die Neutralitätserklärung
zu erläutern und die Wahrheit über deren – nicht vorhandene –
Garantien zu verbreiten. Es ist die große Chance, die unglaublichen Veränderungen
des letzten halben Jahrhunderts begreiflich zu machen.
Überparteiliche Privatinitiative hat die Veranstaltung möglich
gemacht. Das weist in die Zukunft und macht weitere Hoffnung: Dass es
vielleicht möglich sein wird, endlich aus der provinziellen Enge
einseitiger parteipolitischer Polemik auszubrechen und zu einem
gemeinsamen österreichischen Geschichtsverständnis zu gelangen. Aufzuhören
mit den reflexartigen Schmähungen bei den Namen Habsburg und Dollfuß,
mit den dümmlichen Unterstellungen, alles „Linke“ sei
marxistisch/kommunistisch gewesen. Auch über die unterschiedlichen Strömungen
im nationalen Lager vor Hitler sollte man Bescheid wissen. Ganz zu
schweigen von der Bedeutung des österreichischen Judentums.
Vielleicht kann wirklich ein gemeinsames „Haus der Geschichte“
entstehen.
eMAIL: alfred.payrleitner@kurier.at
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