Haus der Geschichte" - Test für demokratischen Konsens

Wie ein altes Projekt unter neuen Voraussetzungen doch noch realisiert werden könnte - voraus- gesetzt, der für morgen von Andreas Khol anberaumte erste Schritt vom Wort zur Tat findet auch statt.

Trautl Brandstaller*

Zeiten labiler Machtverhältnisse, wechselnder Mehrheiten und allgemeiner Verunsicherung sind in der Regel keine guten Zeiten für demokratischen Konsens. Gibt es hinter den Verbalschlachten der Innenpolitik noch gemeinsame Überzeugungen, gibt es so etwas wie einen Grundkonsens über die Vergangenheit, auf den sich Parteien und Bürger verständigen können? Ein gemeinsames Geschichtswissen als Basis zukünftiger Politik?

Die seit 1998 laufende Diskussion um ein "Haus der Geschichte" war nicht gerade ein Beleg für die Existenz eines solchen gemeinsamen Bewusstseins, eher das Gegenteil. Die zunehmende politische Polarisierung verhärtete ein Lagerdenken, das man schon für überholt gehalten hatte. Noch zu Zeiten der großen Koalition wurden "roten Konzepten" "schwarze Konzepte" gegenübergestellt.

Wider das Lagerdenken

Leon Zelmans Idee, aus dem Palais Epstein ein Museum oder einen Ort der Begegnung zu machen, scheiterte am Beschluss aller Parteien, das Gebäude für das Parlament zu nutzen. Immerhin gebührt dem Leiter des Jewish Welcome Service das Verdienst, die Debatte über ein Museum der österreichischen Zeitgeschichte initiiert zu haben.

Dass die nachfolgende schwarz-blaue Koalition keinen Konsens mit der Opposition erzielen konnte, kann nicht überraschen. Schließlich verstießen FPÖ-Politiker laufend und gezielt gegen den scheinbar erreichten Grundkonsens. Wo sich alte Lager wieder neu bilden, bleiben nationale Projekte auf der Strecke. Aber nur als gemeinsames, parteienübergreifendes, nationales Projekt macht ein "Haus der Geschichte" Sinn.

Was Österreich braucht, ist weder ein "Jubelhaus" noch ein "Kritikhaus" (Robert Menasse über die schwarzen bzw. roten Pläne), sondern eine aufklärerisch-kritische Darstellung seiner Geschichte (Gerhard Botz). Einer Geschichte, die nicht 1945 und auch nicht 1918 beginnt. "Der Kampf um die österreichische Identität" (Friedrich Heer) ist dabei ebenso wichtig wie die Entstehung und Entwicklung der Parteien incl. Irrwege, Mythen und Heldenlegenden, die bis heute lebendig sind.

Der Rückgriff ins 19. Jahrhundert ist auch deswegen notwendig, weil Österreichs Beziehungen zu einem Teil seiner Nachbarn bis heute von alten wechselseitigen Vorurteilen geprägt sind. Wien als Metropole der Moderne ebenso wie als Brutstätte von Antisemitismus und Antislawismus, Österreich als Opfer wie als Täter, die Nachkriegszeit als Erfolgsstory, aber auch als Geschichte von Verdrängung und Versäumnissen. Die Kontroversen, die die österreichische Zeitgeschichte geprägt haben, müssen sich auch im "Haus der Geschichte" wiederfinden. Wo es keinen Konsens gibt, ist ein solcher nicht aus Harmoniebedürfnis zu simulieren. Bei Fragen, in denen Wissenschaft und Forschung zu keinen einheitlichen Ergebnissen kommen, ist der Dissens darzustellen. Um solche Zielvorgaben zu erfüllen, sollte das "Haus der Geschichte" möglichst staatsfern und parteienunabhängig organisiert werden.

Natürlich wäre es naiv, zu glauben, man könne bei so einem eminent politischen Projekt die Parteien heraushalten. Alle Parteien sollten in die Vorbereitung eingebunden sein. Die Interpretation der Geschichte, die Fakten und ihre Deutung, ist den Wissenschaftern - und das heißt konkret: den Professoren der österreichischen Zeitgeschichte - zu überlassen. Inhalte und Konstruktion eines solchen Hauses sind wichtiger als der Standort. Wenn ein "Haus der Geschichte" allgemein akzeptiert werden soll, braucht es

1. ein Proponentenkomitee, bestehend aus unabhängigen Persönlichkeiten, die aus den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen kommen;
2. eine Trägerorganisation (Stiftung, Anstalt oder Verein), in der Parteien, Verbände und Religionsgemeinschaften, öffentliche und private Geldgeber repräsentiert sind und in Form eines Aufsichtsrates (Kuratorium, Stiftungsrat) Administration und Finanzen kontrollieren;
3. einen wissenschaftlichen Beirat, in dem die Ordinarien für Zeitgeschichte aus allen Universitäten des Landes die wissenschaftliche Verantwortung für die Gestaltung und Führung des Hauses tragen;
4. einen Direktor, der international ausgeschrieben wird und als ausgewiesener Fachmann für österreichische Geschichte das Haus leitet.

Eine so konstruierte Institution müsste mehr leisten als die Darstellung der jüngeren Geschichte des Landes, sie müsste auch ein Ort der öffentlichen Diskussion, der ausgetragenen Kontroversen (von Dollfuß über Renner bis zur Wehrmacht im II. Weltkrieg und zur Vertreibung der Sudetendeutschen) sein. Diskussion bleibt der Kern der Demokratie, gerade in einem Land, das in seiner Geschichte offenen Konflikten immer wieder ausgewichen ist.

*Juristin und ORF-Journalistin
1) Konstituierende Sitzung eines
"HdG"-Proponentenkomitees auf
Einladung des Ex-VP-Klubchefs und auf Grundlage des von der
Autorin hier skizzierten Konzepts.


© DER STANDARD, 23. April 2003
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