Belvedere:
"Haus der Geschichte"?

VON HANS WERNER SCHEIDL (Die Presse) 22.07.2005

Suche nach einem Nationalmuseum. Nationalratspräsident Khol macht daraus "Chefsache". WIEN. Noch wird im Bereich um das Parlamentsgebäude mit Hochdruck gearbeitet, die Umbauten liegen aber im Zeitplan, wie "Bauherr" Andreas Khol betont. Am 26. Oktober (Nationalfeiertag) wird das Palais Epstein an der Bellaria als "Filiale" des Hohen Hauses seiner Bestimmung übergeben.


Eine ständige Ausstellung - so betont Khol - wird die wechselvolle Geschichte des Hauses dokumentieren. Damit ist auch Leon Zelman zufrieden. Der Direktor des "Jewish Welcome Service" wollte ja ursprünglich das Palais einer ganz anderen Bestimmung zuführen: Ein "Haus der Toleranz" schwebte ihm vor, ein "Haus der Geschichte", was 60 Jahre nach Kriegsende nötiger denn je erscheint. 
Präsident Khol verspricht nun im Interview mit der "Presse", dieses Vorhaben gleich nach dem Nationalfeiertag mit Hochdruck zu starten. Die Frage des Standortes bezeichnet er als "sekundär". Zunächst müsse ein Konzept für eine multimediale Forschungsstelle ausgearbeitet werden, um die Einheit von Wissenschaft & Forschung samt Anschauungsmaterial zu gewährleisten. 
"Dann die wichtigste Frage: Für wen planen wir das alles?" Natürlich habe er die jüngeren Generationen im Auge. "Man soll nach hinten schauen, um die Zukunft zu begreifen." Die derzeit im Oberen Belvedere laufende Großausstellung "Das neue Österreich" sei in der Konzeption ausgezeichnet, "sie zeigt den Weg der Interdisziplinarität". Diese Schau sei in das künftige Haus der Geschichte einzubringen. 
Sie wird am 1. November abgebaut und das Schloss Belvedere erhält wieder seine bisherige Bestimmung als "Neue Galerie". Daher taucht in Expertenkreisen die logische Idee auf, aus dem Sommerschloss des Prinzen Eugen gleich das viel diskutierte "Haus der Geschichte" zu machen und die Gemäldegalerie woanders unterzubringen. Denn die laufende Ausstellung könnte bereits das Herzstück für dieses Geschichtsmuseum bilden. 
Immerhin umfasst sie das gesamte Spektrum dieses turbulenten 20. Jahrhunderts: Zerfall der Donaumonarchie, Zwischenkriegszeit und NS-Herrschaft in Österreich, Besatzungszeit, Souveränität ab 1955, Neutralität, UNO-Beitritt, Kalter Krieg, Eiserner Vorhang, Aufbau einer eigenen österreichischen Identität, Wirtschaftswunder, EU-Beitritt. Der Besucherandrang ist ungebrochen. Derzeit hält man schon bei 120.000 Besuchern und rechnet mit etwa 200.000 bis zum Ende der Ausstellung. 
Das Ambiente spräche jedenfalls für diese Idee. Das Schloss ist eng mit dem Schicksal des Thronfolgers Franz Ferdinand verknüpft, der dort bis zu seinem gewaltsamen Tod eine "Nebenregierung" zur Hofburg installiert hatte. Seine "Militärkanzlei" beschäftigte sich keineswegs nur mit den Obliegenheiten des Thronfolgers als Inspekteur des gesamten Heeres, sondern sie bereitete auch jene politischen Reformen vor, die Franz Ferdinand für seine Regierungszeit nach dem Tode seines Großonkels Franz Joseph plante. 
Dass im Belvedere 1955 die österreichische Freiheitsurkunde, der Staatsvertrag, unterfertigt wurde, sehen die Proponenten des "Haus der Geschichte" als weiteres Argument für den von ihnen favorisierten Standort an. Der 15. Mai gilt immer noch als markantestes Datum der 2. Republik. 
Khol bleibt vorsichtig, was die Übersiedelung der "Österreichischen Galerie" betrifft. Immerhin ist die Gemäldesammlung seit 1903 dort angesiedelt. Übers Knie brechen werde man die Sache nicht. Zunächst müsse das wissenschaftliche Konzept für das "Haus der Geschichte" stehen, dann werde man den Raumbedarf eruieren. 
Denn es gelte, ungehobene zeitgeschichtliche Schätze unterzubringen: "Der Versöhnungsfonds (für ehemalige NS-Zwangsarbeiter, Anm.) hört in einem halben Jahr mit seiner Arbeit auf. Da lagern 100.000 Akten, die von der Wissenschaft noch verwertet werden müssen. In zwei Jahren beendet der Entschädigungsfonds (für Opfer von NS-Raub, Anm.) seine Arbeit. Das sind nochmals 20.000 Akten." Ganze Straßengeschichten - etwa in der Leopoldstadt - würden durch diese Dossiers nacherzählbar, schwärmt Khol. 
Eine andere, schon mehrfach überlegte Variante wäre ein Ausbau des bestehenden Heeresgeschichtlichen Museums im Arsenal. Der verkehrstechnisch und touristisch äußerst ungünstig gelegene Komplex untersteht dem Heer, das kein Geld hat, um die Ausbaupläne voranzutreiben. Der langjährige Direktor Manfried Rauchensteiner geht mit Ende August in Pension. Für sein Anliegen, das Haus zu einem echten "Nationalmuseum" zu machen, hatte die Politik wenig Interesse gezeigt. 
Daher ist Khol nun auf der Suche nach Geldquellen, denn im Staatshaushalt wird für die hochgespannten Ideen auch in den nächsten Jahren kein Cent vorhanden sein. Ohne Kooperation mit der Wirtschaft in Form von "public private partnership" werde sein Wunschtraum daher kaum zu verwirklichen sein, gibt sich Khol realistisch - da wie dort. "So wie es mit Schlosshof gelungen ist. Aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst - und jetzt hat das Schloss 50.000 Besucher in nur zwei Monaten verzeichnet." Der Schlosshof-"Macher" heißt übrigens Helmut Pechlaner. Möglich daher, dass der Manager des künftigen "Hauses der Geschichte" mit dem Direktor des Schönbrunner Zoos identisch sein wird.