GASTKOMMENTAR VON PETER DIEM ("Die Presse" 19.4.2002)

Der Linzer Historiker Roman Sandgruber, bekannter Autor einer "Illustrierten Geschichte Österreichs", hat durch seinen Gastkommentar vom 25. März d. J. auch in der "Presse" die Diskussion um das geplante "Haus der österreichischen Zeitgeschichte" eröffnet. Das ist sehr erfreulich, dürften doch gerade die Leser dieses Blattes an einer sachgerechten Erörterung des Themas interessiert sein. Bis zum Regierungsbeschluss vom 19. März 2002, mit dem eine Kommission bestehend aus den Herren Brauneder, Karner, Rauchensteiner und Scholz eingesetzt wurde, drehte sich die Diskussion vorwiegend um die Frage, ob der Fünfparteienbeschluss, mit dem der Nationalrat das Palais Epstein "requirierte", rückgängig gemacht werden kann oder nicht. Wenig Wert wurde auf museumspädagogische Zielsetzungen, organisatorische Fragen und Finanzierungsmöglichkeiten gelegt. Es wurde weder über die Einbindung der Bundesländer und der Interessenverbände, noch über private Träger bzw. Sponsoren diskutiert. Ohne ausführlichen Kontakt mit den Vertretern der Geschichtswissenschaft besteht auch die Gefahr, dass es zu typisch österreichischen Eifersüchteleien und parteipolitischen Gruppenbildungen kommt. Gerade bei einem so heiklen Thema hätte das "government of the day" großzügig auf einen möglichst breiten Konsens hinwirken sollen. All das ist nun der Kommission aufgetragen, die zunächst eine Ausstellung aus Anlass "50 Jahre Staatsvertrag" für 2005 vorbereiten soll. Es ist zu hoffen, dass man diesem Gremium die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Zur notwendigen Vorbereitung zählen die Auswertung ähnlicher Initiativen im Ausland (z. B. die demnächst beginnende Expo 02 in der Schweiz, die Häuser der Geschichte in Bonn, München und Stuttgart, das Nationalmuseum und das Haus des Terrors in Budapest, ähnliche Institutionen in den USA), vor allem aber die Veranstaltung einschlägiger Symposien. Bei diesen sind Grundfragen zu klären, so etwa die darzustellende Geschichtsperiode. Wer das Wesen der Ersten und Zweiten Republik erklären will, wird ohne einen Rückgriff auf die geistesgeschichtlichen Wurzeln im 19. Jahrhundert nicht auskommen. Die Identität Österreichs mit 1918 beginnen zu lassen, wäre geschichtswissenschaftlicher und politischer Dilettantismus. Einer weiteren Gefahr muß entgegengesteuert werden, die Gerhard Wilflinger jüngst mit den Worten "Tribunalisierung und Moralisierung der Geschichte" beschrieben hat: in jedem historischen Sachverhalt zunächst nach "Schuldigen" zu suchen, diese in die Gegenwart zu projizieren und an die Wand zu stellen. Ein Museum der österreichischen Zeitgeschichte, das diesen Namen verdienen will, muss Schatten und Licht, Tiefen und Höhen unserer Geschichte darzustellen vermögen. Der Stolz über das Erreichte darf neben der zweifellos notwendigen Reue über das Versäumte nicht zu kurz kommen. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es ein folgenschwerer Irrtum wäre, nur auf virtuelle Präsentation der Geschichte zu setzen, wie Roman Sandgruber dies vorschlägt. In einer Zeit, in der mehr als drei Viertel aller Unter-Dreißigjährigen das Internet verwenden, lockt man mit noch so tollen Computeranimationen keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Ein ausführliches Österreich-Lexikon gibt es im Netz längst: www.aeiou.at. Nichts dergleichen wird die "physische" Begegnung mit der eigenen Geschichte ersetzen können - ganz gleich wo das "Haus der Zeitgeschichte" dereinst stehen wird. 

Die Meinung eines Gastautors muss sich nicht mit jener der "Presse" decken. 

© Die Presse | Wien