Peter
Diem, Martin Haidinger ("Academia", 27. Juni 2006)
Überlegungen
zum Haus der Geschichte
„Die
Standortfrage ist sekundär, primär geht es darum, was das ‚Haus der
Geschichte’ sein soll: ein Ausstellungshaus, ein Gedankenzentrum oder ein
klassisches Museum - da gibt es
viele Vorbilder.“
Andreas Khol im ORF-Mittagsjournal, 16.7.2005
Das Projekt eines „Hauses der
Geschichte“ wird seit mehr als einem halben Jahrzehnt in verschiedener
Intensität diskutiert. Das Kabinett Schüssel II nahm den Plan, eine
Institution zur Pflege und Darstellung der österreichischen Zeitgeschichte zu
schaffen, in das Regierungsprogramm 2003-2006 auf:
„Auf
der Grundlage der Parlamentsentschließung und der Vorbereitungsarbeiten
wird ein konkretes Projekt zur Errichtung eines "Hauses der
Geschichte" erstellt.
Die dafür notwendigen Mittel werden von öffentlicher und privater Hand
aufgebracht.“
Aber
erst in den letzten Monaten der Legislaturperiode, ausgerechnet am 20. April
laufenden Jahres, wurde die Regierung konkret. An diesem Tag wurde
in Wien eine "ständige Historiker-Expertengruppe" mit 23 Fachleuten
zur Erarbeitung eines inhaltlichen Grobkonzeptes für ein "Haus der
Geschichte der Republik Österreich" gegründet. Dem Gremium gehören
Spitzenvertreter der zeitgeschichtlichen Forschung an den Universitäten, der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften, dem Staatsarchiv, der Vorsitzende der
Landesarchive, von Forschungs- und Volksbildungseinrichtungen an. In der
diesbezüglichen Aussendung heißt es:
“Die Expertengruppe wird
in der nächsten Zeit die inhaltlichen Themenfelder für ein ‚Haus der
Geschichte der Republik Österreich’ vorschlagen und anschließend einen
breiten, interdisziplinären Diskussionsprozess mit allen an der Thematik
Interessierten initiieren.“
Gelenkt wird die Diskussion von einer Arbeitsgruppe unter dem ehemaligen Leiter
des Wien-Museums, Dr.
Günter Düriegl, der
weiter angehören: Dr.
Manfred Jochum (Radiojournalist), Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner
(Kriegsfolgenforscher), O. Univ.-Prof. Dr. Herbert Matis – (Vizepräsident der
Akademie der Wissenschaften) und
Mag. Dr. M. Christian Ortner – (interimistischer Leiter des
Heeresgeschichtlichen Museums). Zur
Durchführung der Arbeiten wurde ein eigenes Büro im Palais Dietrichstein
eingerichtet, dem der bewährte Betreuer des Gedankenjahres 2005, der
Kulturjournalist Hans Haider, vorsteht. Aufgabe der Arbeitsgruppe und der
Expertenrunde ist es, möglichst noch vor dem Sommer 2006 eine „Roadmap“
zu erstellen, die folgendes umfassen soll:
-
Durchführungsschritte zur inhaltlichen Konzeption,
- Vorlage eines organisatorischen Konzepts,
- Vorschläge zu Standort und Finanzierung, Zeitplan.
Wenn man die Terminsituation in der feiertagshältigen Periode Mai-Juni berücksichtigt,
wird sicher viel Fleiß nötig sein, um fristgerecht mehr als nur Gemeinplätze
zu liefern.
Die
Autoren bieten ihre Hilfe mit folgenden Überlegungen an:
1.
Zielsetzung
Das
Haus der Geschichte (HDG) hat die Aufgabe, wichtige Dokumente und Objekte aus
dem Werden der Republik Österreich zu sammeln, zu bewahren und der Öffentlichkeit
zu präsentieren. In den meisten Fällen wird es nicht möglich sein, Originale
aus den Archiven und Sammlungen des Bundes, der Länder und Gemeinden in das HDG
zu transferieren. Man wird daher mit temporären Leihgaben und den heute ja in
hoher Qualität herstellbaren Kopien arbeiten müssen. Dokumente und Gegenstände
der Alltagsgeschichte - vom Notgeld
bis zur I-Karte, von der Kochkiste bis zum Kübelwagen - können auch heute noch
erworben und durch Aufrufe der Bevölkerung gesammelt werden. Wie
gut das funktioniert, erwiesen das reichhaltige Ergebnis der Sammelaufrufe für
die Ausstellung auf der Schallaburg im Jubiläumsjahr 2005 und schon 2003 die
Bemühungen des Grazer „Büros der Erinnerungen“, dem nicht weniger als
20.000 Objekte übergeben worden waren. Das
HDG muss freilich mehr sein, als eine nach modernsten museumspädagogischen
und museumstechnischen Gesichtspunkten geführte Sammlung. Es muss als ein überparteiliches,
besser: nicht-parteiliches „Forum der offenen Gesellschaft“ (Trautl
Brandstaller) geführt werden, das bei kulturellen und politischen
Veranstaltungen auch kontroversielle Fragen aufgreift und in Symposien grundsätzliche
Probleme von Staat und Gesellschaft zur Diskussion stellt.
Es
versteht sich von selbst, dass eine derartige Institution nicht ein komplettes
neues Forschungszentrum für Zeitgeschichte sein soll.Vielmehr soll mit allen
bereits bestehenden Forschungseinrichtungen für Zeitgeschichte, Wirtschafts-
und Sozialgeschichte, für Kulturgeschichte und Kulturstudien zusammengearbeitet
werden. Insbesondere soll die Schnittstelle
zwischen Geschichtswissenschaft und Politikwissenschaft geschlossen werden - gemäß
der Absichtserklärung Günter Düriegls, dass das HDG
bis in die jeweilige unmittelbare Gegenwart reichen und ständig erneuert
werden soll. Eine
solche interdisziplinäre Zusammenarbeit wird heute im Allgemeinen mit dem
Begriff „Vernetzung“ ausgedrückt. Dabei muss man allerdings vorsichtig
sein, denn durch das Internet sind heute bereits viele Inhalte – ja fast alle – und
sind viele Wissenschafter – praktisch
alle – vernetzt. An dieser Stelle muss auch die
selbst von professioneller Seite manchmal vorgetragenen Idee kritisch beurteilt
werden, es genüge, das Haus der Geschichte „virtuell“ zu errichten.
Abgesehen von der gerade im Internetzeitalter so wichtigen direkten, wenn möglich
haptischen, jedenfalls sinnlichen Begegnung mit Gegenständen der jüngeren
Geschichte (vgl. die Erlebnisqualität des Heeresgeschichtlichen Museums),
spricht das traurige Schicksal des elektronischen Österreich-Lexikons (http://www.aeiou.at)
dagegen. Man bedenke: Österreich ist eines der wenigen Länder, die ein
webbasierendes Nationallexikon geschaffen haben. Statt diesen allgemein zugänglichen
Schatz zu pflegen und zu hegen, hat das zuständige Ministerium Desinteresse
gezeigt, und so verrottet dieser wertvolle Text im Netz mangels redaktioneller
und technischer Aktualisierung.
Es wird an der Leitung der kommenden Institution liegen, fruchtbare Formen der
Zusammenarbeit mit den Zeithistorikern des Landes zu entwickeln und - jenseits
aller professionellen Eifersüchteleien – Folgendes zu bewerkstelligen:
-
sich mit offenen
Fragen der Zeitgeschichte kritisch und konstruktiv,
jedoch ohne faule Kompromisse auseinander zu setzen, damit die
Napoleon zugeschriebenen Worte widerlegt werden, Geschichte sei
„die Lüge, auf die man sich
geeinigt hat“.
“Wo
wissenschaftliche Forschung und öffentliches Bewusstsein noch keinen Konsens
erreicht haben, wo es offene Fragen und Kontroversen gibt, sind diese offen zu
dokumentieren: Ein „Haus der Geschichte“ kann Konsens nicht vorspiegeln, wo
Dissens herrscht. Das Bekenntnis, Fragen noch nicht geklärt zu haben, zählt zu
den Fundamenten einer wissenschaftlichen Institution.“
(zit. nach dem Grundkonzept Brandstaller/Diem – http://members.aon.at/proaustria)
-
soziale, religiöse und ethnische Vorurteile und Stereotypen zu
analysieren und zu bekämpfen,
- österreichische Identität im europäischen Kontext darzustellen und
weiter zu entwickeln
- durch gemeinsame Geschichtsbetrachtung die freundschaftlichen
Beziehungen Österreichs
zu seinen Nachbarstaaten in
Mittel- und Osteuropa zu festigen und
auszubauen.
Insofern
messen wir dem HDG also mehr als die bloße Rolle eines historischen Museums zu
–
es hat u. E. auch eine wichtige demokratie- und europapolitische Funktion zu erfüllen.
Ganz
gleich in welcher Konstruktion das
HDG letztlich errichtet werden wird, aus der Natur der Sache ergibt sich, dass
neben einem permanenten
Ausstellungskern Sonderausstellungen zu aktuellen Schwerpunkten historischer
Forschung die Regel sein werden. Man denke nur an Themenkomplexe wie „Der österreichisch-ungarische
Ausgleich 1867“, „Österreich
und die Ukraine“ oder „Das Schicksal der Kosaken in Südösterreich 1945“
– Vorgänge von großer kulturgeschichtlicher und politischer Bedeutung, die
so einem breiten Publikum vorgestellt werden können.
2.
Zeitlicher Rahmen
„Die
Geschichte Österreichs beginnt weder 1945 noch 1918. Um die heutige Situation
des Landes und die Beziehungen Österreichs zu seinen Nachbarn in Europa zu
verstehen, muss man zumindest ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Die bürgerliche
Revolution des Jahres 1848, die ganz Europa erfasst hatte, sollte vielmehr zum
Ausgangspunkt für die Darstellung der neueren österreichischen Geschichte
genommen werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich
alle jene politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bewegungen, die die
Geschichte unseres Landes bis weit hinein in das 20. Jahrhundert bestimmt haben.
Staatsrechtlich geht Österreich auf das Jahr 1804 zurück.“ (Brandstaller/Diem
a.a.O.)
Die
Geschichte der Republik Österreich ist ohne ihre im 19. Jahrhundert liegenden
geopolitischen, wirtschaftsgeschichtlichen, sozialgeschichtlichen und
geistesgeschichtlichen Wurzeln nicht zu erklären. Vielvölkerstaat und
Sozialreform, Frühkapitalismus und Marxismus, Deutschnationalismus und
Antisemitismus, Frauenemanzipation und Sezession, technischer Fortschritt und
neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse –
alles das sind Phänomene, die für die weitere Entwicklung Österreichs
und Europas grundsätzliche Bedeutung hatten. Sie müssen genauso in ein
umfassendes Geschichtsbild Österreichs einbezogen werden wie Entstehung und
Untergang der Ersten Republik, autoritärer Ständestaat und
Nationalsozialismus, Opferrolle und Mittäterschaft Österreichs und der Österreicher,
Befreiung und Wiederaufbau. Nichts darf ausgespart, nichts unter den Teppich
gekehrt werden.
3.
Ein konkreter Gestaltungsvorschlag: Das „Labyrinth der Ideologien“
Wo
es nicht gelingt, sich auf eine wissenschaftlich redliche einheitliche Darstellung zu einigen, müssen die Gestalter auch den Mut
haben, die „Geschichte der Geschichte“ zu erzählen.
Die
österreichische Zwischenkriegszeit, und hier speziell die Jahre 1927 (Brand des
Justizpalastes) bis März 1938 („Anschluss“ an das Deutsche Reich) zählt zu
den in der Bevölkerung wie unter Historikern umstrittensten Themen österreichischer
Geschichte.
Auch
wenn über wesentliche Fragen Konsens erzielt werden kann und wahrscheinlich
auch muss, bleiben doch große Verschiedenheiten in Wahrnehmung und Gewichtung
übrig, die sich bislang auch in noch so sachlichen Fachdiskussionen nicht auflösen
lassen. Vor allem die Dollfuß/ Schuschnigg-Ära führt noch heute zu
Verhärtungen auf allen Seiten, die ebenfalls Bestandteil der Geschichte sind
und erklärt und hinterfragt werden sollen.
Wie
aber soll man nun diese Phase österreichischer Geschichte inhaltsreich und
umfassend darstellen, ohne in Unverbindlichkeiten auszuarten? Wie kann man die
Wucht der Konfrontation und die Heftigkeit der aufeinanderprallenden Parteien
bis hin zur kontroversiellen Rezeptionsgeschichte adäquat darstellen? Wie kann
man hier die „Geschichte der Geschichte“ erzählen?
Eine
Möglichkeit dafür böte ein „Labyrinth
der Ideologien“:
In
einem passenden (vor allem ausreichend großen) Raum betritt der Besucher ein
Szenarium, das ihm die Geschehnisse unmittelbar vor dem Brand des Justizpalastes
schildert. Der Brand selbst wird durch zwei Leinwände dokumentiert, die
synchron den berühmten Wochenschau-Bericht über Brand und Polizeieinsatz
zeigen. Bekanntlich wurden schon 1927 zwei Varianten dieses Stummfilms gezeigt
– mit den gleichen Bildern, aber völlig konträren Texttafeln (pro, bzw.
contra Polizeieinsatz). Nach diesem Schlüsselereignis trennen sich die Wege der
Österreicher, und die ideologische Zwei-, bzw. Dreiteilung wird einzementiert.
Der
Besucher hat nun die Wahl, ob er den roten, den schwarzen oder den
braunen Gang betritt. In den Tunnels durchlebt er die Ereignisse aus der
Sicht eines Sozialdemokraten/ Sozialisten, eines Christlichsozialen/ Heimatschützer,
bzw. eines Großdeutschen/ Nationalsozialisten. Da (wie schon an diesen
Bezeichnungen sichtbar wird) diese Gruppen keineswegs in sich homogen waren,
soll es natürlich auch innerhalb der drei Tunnels Differenzierungen geben, vor
allem aber immer wieder die Möglichkeit, mittels Verbindungsgängen zwischen
den drei Tunnels zu wechseln, v. a. bei Schlüsselereignissen ( z.B. Februar
1934). Natürlich muss bei der Darstellung behutsam vorgegangen werden. Es darf
keine propagandistische Wirkung auf den Besucher ausgeübt werden, sondern die
(naturgemäß verengte) Sicht der Akteure der damaligen Zeit soll, wenn schon
nicht nachvollziehbar, so doch verständlich werden. Die drei Gänge münden
schließlich in den März 1938, der wieder in einem zentralen Raum dargestellt
wird. Wer nacheinander alle drei
Gänge dieser kontroversiellen Weltbild-Schau durchwandert, wird bleibend
informiert werden und einseitigen Darstellungen künftig nicht mehr „auf den
Leim gehen.“
4.
Organisation
Es
ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Aufbringung der notwendigen Mittel,
ob die
Trägerschaft des HDG von einem Verein, einer Stiftung oder einer Körperschaft
des öffentlichen Rechts, wahrgenommen wird. Im Hinblick auf die Bedeutung der
geplanten Institution ist eine öffentlich-rechtliche Lösung zu bevorzugen, die
es dem Haus der Geschichte ermöglicht, seine Tätigkeit unabhängig von der
Tagespolitik auszuüben. Dabei ist den Bundesländern ein angemessenes
Mitspracherecht einzuräumen – nicht nur weil auf Landesebene wichtige
Sammlungen vorhanden sind, sondern weil die Rolle der Bundesländer sowohl in
der Zwischenkriegszeit wie auch beim Wiedererstehen der Republik Österreichs
dies rechtfertigt. Wie bei anderen in jüngster Zeit erfolgten Gründungen (z.B.
Mozarthaus Vienna) ist an eine gemeinsame Finanzierung durch öffentliche und
private Mittel zu denken („Public-Private-Partnership“). Der
wissenschaftliche und der kaufmännische Leiter sollten aus einer
internationalen Ausschreibung hervorgehen.
5.
Standort
Bisher
wurden weniger Zielsetzung und Inhalt als vielmehr mögliche Standorte eines
Hauses der Geschichte diskutiert. Dabei wurde nur darüber Konsens erzielt, dass
es nicht ausreicht, ein bestehendes Gebäude zu adaptieren. Das galt für das in
einer frühen Phase diskutierte Palais Epstein ebenso wie für aufgelassene
Kasernen, das Schulgebäude in der Wiener Hegelgasse oder die ebenfalls genannte
ehemalige Staatsdruckerei. Ohne einen Neubau oder Zubau in angemessener Größe
lassen sich weder moderne museumspädagogische Erfordernisse verwirklichen noch
die Betriebskosten in Grenzen halten. Der Vorschlag, einfach das
Heeresgeschichtliche Museum zu erweitern, ist nicht nur geistesgeschichtlich
problematisch, sondern leidet auch darunter, dass am Arsenal zu wenig geeignete
Baufläche vorhanden ist. Überdies wird die Errichtung des Zentralbahnhofes das
Gelände wohl auf ein Jahrzehnt in eine Baustelle verwandeln. Interessanter ist
der jüngst gemachte Vorschlag, das Wiener Künstlerhaus durch
Erweiterungsbauten so zu vergrößern, dass eine gemeinschaftliche Nutzung mit
dem Haus der Geschichte möglich wird. Vor allem die zentrale, verkehrsgünstige
Lage spräche für diesen Plan. Eine weitere Alternative eröffnet sich in den jüngst
aufwendig restaurierten und ungenutzt leer stehenden Räumlichkeiten der
abgesagten „Galerie der Forschung“ an der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften. Man darf gespannt sein, welche Vorschläge die
interministerielle Arbeitsgruppe mit ihrem Expertenbeirat zu diesem Thema machen
wird.