Vor einigen Monaten erschien in den Vereinigten Staaten ein Buch, das die amerikanische Presse seither überschwänglich lobt: Es schildert das Exil des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig. Beschrieben wird, wie der Emigrant Zweig rastlos nach einer neuen Heimat suchte. Alle Reisen endeten in Verzweiflung: Zweig und seine zweite Frau nahmen sich in einem Vorort von Rio de Janeiro das Leben.
Geschrieben hat der „Erwerbs-Zweig“, wie ihn Karl Kraus böse nannte, bis wenige Tage vor seinem Tod. Seine Autobiografie und die „Schachnovelle“ haben nach 1945 in den Deutschunterricht Eingang gefunden. Alles das wird von George Prochnik, dem amerikanischen Autor von „The Impossible Exile“, sorgfältig nacherzählt. Zur Spurensuche gehörte auch eine Reise nach Wien.
Hier suchte er nach einer Ausstellung über jene Zeit, die Stefan Zweig in der „Welt von Gestern“ so eindringlich beschrieben hat. Jedoch, zur Überraschung des amerikanischen Wissenschaftlers: Er fand nichts. Als er im Wien-Museum fragte, weshalb die Darstellung mit dem Ersten Weltkrieg ende, erklärte ihm ein Aufseher seufzend, er solle sich doch umschauen: „No space“ – man habe für die Zeit nach 1918 nicht genug Platz. In anderen Museen sei das genauso. No space. Nirgendwo gebe es eine Dauerausstellung über die Erste und Zweite Republik. Nun können wir das als bloße Anekdote abtun. In Wirklichkeit aber enthüllt sie ein nationales Defizit.
Denken wir vier Jahre voraus: 2018 wird unser Land 100 Jahre Republik feiern. In vier Jahren wird es Ansprachen geben, werden wir uns daran erinnern, wie aussichtslos 1918 die Lage Österreichs erschien. Nach dem Ersten Weltkrieg glaubte man nicht an dieses Land. Damals erlangte die „Wiener Krankheit“ verhungernder Kinder weltweit eine traurige Berühmtheit. Heute haben wir einen Lebensstandard, der international bewundert wird.
Natürlich wird man 2018 irgendwie an die Gründung der Ersten Republik erinnern. Was fehlt, ist ein Haus, in dem die wechselvolle Geschichte der letzten hundert Jahre präsentiert wird.
Inhaltliche Ausreden für das Fehlen eines „Hauses der Republik“ oder „Hauses der Geschichte“ (die Bezeichnung ist nebensächlich) gibt es keine. Erst in diesem Jahr haben einander der Bundeskanzler und der Vizekanzler an den Gräbern der Februaropfer 1934 die Hand gereicht. Damit gehören auf Regierungsebene die Grabenkämpfe vieler Jahre der Vergangenheit an. Dazu aber kommt noch etwas: Nie war die Liste der Historikerinnen und Historiker, die brillante Beiträge zur Geschichte und Kultur der Ersten und Zweiten Republik geschrieben und Ausstellungen kuratiert haben, länger als heute.
Könnten
nicht Gerald Stourzh, Erika Weinzierl, Hugo Portisch und
Barbara Coudenhove-Kalergi einen Weisenrat bilden? Wäre es
wirklich so schwer, international angesehene Kapazitäten wie
Manfried Rauchensteiner, Stefan Karner, Helene Maimann,
Gerhard Botz, Wolfgang Neugebauer, Oliver Rathkolb, Helmut
Konrad, Ernst Hanisch, Gerhard Jagschitz, Brigitte Hamann,
Ulrich Weinzierl, Johanna Rachinger gemeinsam mit einer Riege
wissenschaftlicher Nachwuchshoffnungen für ein solches
Vorhaben zu gewinnen?
Müsste nicht längst das Fachwissen mehrerer
Wissenschaftlergenerationen in eine permanente Ausstellung
einfließen? Derzeit dominiert eine rätselhafte Angst, über das
Positive zu reden. Natürlich wird ein Haus der Geschichte
Gegner haben – so wie einst die Hochquellwasserleitung, die
Rettung des Wienerwalds, die Secession, das Denkmal auf dem
Judenplatz und das Hollein-Haus. Ja, ein Haus der Geschichte
wird Rivalitäten wecken und zu Diskussionen führen.
Dennoch sollte die Politik mehr Zuversicht zeigen. Ein Blick auf erfolgreiche Gründungen der jüngeren Zeit, wie etwa auf das lange umstrittene Wiener Museumsquartier, zeigt: Es zahlt sich aus, von Zeit zu Zeit mutig zu sein.
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Zum Autor:
Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008
Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2014)