Warum übersiedeln die Parlamentarier nicht nach Wien IX?

18.03.2011  18:29  (Die Presse)

Das Parlamentsgebäude in Wien, von Hansen innerhalb von zehn Jahren als repräsentatives Gesamtkunstwerk geplant und errichtet, ist baufällig. Ein Plädoyer für ein "Haus der Geschichte" an der Wiener Ringstraße.

Stellen wir einmal eine rein hypothetische Überlegung an: Wir besitzen einen wertvollen Oldtimer, der leider seit Generationen schlecht gepflegt wurde. Jetzt soll er nicht nur in neuem Glanz erstrahlen, nein – wir wollen auch alle technischen und elektronischen Finessen eingebaut haben, die heute üblich, die auch von der Zulassungsbehörde gefordert sind. Wir wollen also – wobei Geld keine Rolle spielt – eine perfekte antike Hülle, doch unter der blechernen Kühlerhaube soll sich heutiger Standard abspielen – über die elektrisch verstellbaren Außenspiegel und diversen Schnickschnack im Armaturenbrett aus Wurzelholz kann man ja noch verhandeln.

Theophil Hansens Gesamtkunstwerk

Mag sein, dass dies alles ein gewiefter Automobil-Restaurateur um sehr viel Geld halbwegs hinkriegt. Bei einem sanierungsbedürftigen Bauwerk erscheint die Sache schon viel fraglicher. Das Parlamentsgebäude in Wien, von Theophil Hansen innerhalb von zehn Jahren (1873–1883) als repräsentatives Gesamtkunstwerk geplant und errichtet, ist baufällig. Es war ein widerwillig gemachtes Zugeständnis des Kaisers Franz Joseph an die gewandelten Zeiten, es sollte der Prachtentfaltung dienen und eine zusätzliche Perle in dem Collier bilden, als das der Ring-Boulevard verstanden und heute noch bewundert wird.

Im Zweiten Weltkrieg wurde fast die Hälfte der kostbaren Bausubstanz zerstört – in einer gesamtösterreichischen Kraftanstrengung erstand das Haus am Ring neu: Bis 1956 – also elf Jahre lang – brauchte man für die Rekonstruktion, die für damalige Verhältnisse als durchaus gelungen bezeichnet werden kann.

Wunderbare Schreibtischvermehrung

Doch schon in den Sechzigerjahren erwies sich, dass diese prächtige Hülle für ein modernes Arbeitsparlament schlicht und einfach ungeeignet war – und ist. Die Infrastruktur erforderte ständige Zukäufe und Anmietungen, heute erstreckt sich die „Parlamentsmeile“ bis hinüber in die Reichsratsstraße, in die Schenkenstraße und ins Palais Epstein, das als jüngster Zukauf um teures (Steuer-)Geld restauriert werden musste. In dem einstigen Palast des Bankiers Epstein hausen in prächtigstem Ringstraßen-Interieur „ausgelagerte“ Abgeordnete, Assistenten, Schreibkräfte. Unter Kassettendecken anno 1871 summen Kopiergeräte und flimmern Computerbildschirme. Die Verwaltung hat von dem Ringstraßenjuwel Besitz ergriffen, wie von Skeptikern vorausgesagt, aber vom damaligen „Umbauherrn“ Andreas Khol immer wieder in Abrede gestellt worden war.

Jetzt soll also wieder umgebaut, saniert, renoviert, restauriert werden. 360 Millionen Euro wird das kosten. 360 Millionen, die die Republik nicht besitzt. Um die Hälfte dieser Summe ließe sich in Wien ein zeitgemäßes Bürogebäude errichten, das allen Anforderungen entspricht, die an ein Parlament heute gestellt werden.

 Wenn die WU abgerissen wird...

Dieses Hohe Haus muss nicht an der Ringstraße angesiedelt sein. Wenn der Alsergrund jahrzehntelang für eine Wirtschaftsuniversität gut genug war, warum nützt man nicht das Areal nach der Absiedelung der WU für einen architektonisch attraktiven Wurf? Müssen immer nur Banken und Versicherungen den Architekten Geld und Freiheit für neue Ideen anbieten?

Bleibt noch die alte prächtige Hülle am Ring. Sie wäre auch nach ihrer Totalsanierung eine funktionsuntüchtige Maschinerie. Denn sie ist und bleibt der Repräsentation vorbehalten. Also sollte sich die Bundesregierung darauf verständigen, hier das „Haus der österreichischen Geschichte“ einzurichten. In jedem Regierungsprogramm der letzten zehn Jahre ist davon die Rede, wohl wissend, dass das Ganze sowieso Utopie bleiben wird. Aus diesem Versprechen sollten wir die Politik nicht entlassen. Einen besseren Platz für „Österreichs Gedächtnis“ wird man nicht finden. Es wäre zumindest ein Projekt, auf das sich alle Parteien einigen könnten. Gibt sowieso viel zu wenige. hws

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2011)