Grundkonzept für ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich"

Trautl Brandstaller - Peter Diem


"Die Standortfrage ist sekundär, primär geht es darum, was das ‚Haus der Geschichte' sein soll: 
ein Ausstellungshaus, ein Gedankenzentrum oder ein klassisches Museum - da gibt es viele Vorbilder."

 (Andreas Khol im ORF-Mittagsjournal, 16.7.2005)


1. Ausgangslage


Nach Ablauf des Jubiläumsjahres 2005 mit seinen vielfältigen Aktivitäten stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit. Was bleibt von all diesen Ausstellungen, Symposien, Vorträgen und Feierstunden? 
Gerade in einem Land, das so viele historische Brüche erfahren hat, braucht es ein Zeichen der Kontinuität. Darin liegt der Hauptzweck eines "Hauses der Geschichte" - einer Institution, die ich über Schule 
und Universität hinaus dieser Thematik widmet, insbesondere durch

o  Sammlung, Bewahrung und Präsentation wichtiger Dokumente und Objekte aus dem Werden der 
    Republik Österreich,

o  verständliche Darstellung historischer Zusammenhänge,

o  kritische Auseinandersetzung mit offenen Fragen der Zeitgeschichte,

o  Förderung von Toleranz und Bekämpfung von Vorurteilen,

o  Weiterentwicklung der österreichischen Identität im europäischen Kontext,

o  Stärkung der freundschaftlichen Beziehungen Österreichs zu seinen Nachbarstaaten.

2. Das angesprochene Geschichtsverständnis 

Die Geschichte Österreichs beginnt weder 1945 noch 1918. Um die heutige Situation des Landes und die Beziehungen Österreichs zu seinen Nachbarn in Europa zu verstehen, muss man zumindest ins 
19. Jahrhundert zurückgehen. Die bürgerliche Revolution des Jahres 1848, die ganz Europa erfasst hatte, 
sollte zum Ausgangspunkt für die Darstellung der neueren österreichischen Geschichte genommen werden. 
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich alle jene politischen, gesellschaftlichen und 
kulturellen Bewegungen, die die Geschichte unseres Landes bis weit hinein in das 20. Jahrhundert bestimmt haben. Staatsrechtlich geht das heutige Österreich auf das Jahr 1804 zurück. 

Der Entstehung der österreichischen Identität - im Spannungsfeld zwischen dem damaligen Deutschen Reich und den nicht deutschsprachigen Völkern der Monarchie - ist ein besonderer Stellenwert einzuräumen.

Die Rolle der Juden im Prozess der ökonomischen und kulturellen Modernisierung der Monarchie (sowie die Entstehung des "modernen" Antisemitismus) soll nicht nur in spezialisierten Institutionen behandelt werden, sondern muss in die Darstellung der österreichischen Geschichte integriert sein. 

In gleicher Weise ist die Zeit der NS-Herrschaft in Österreich zu berücksichtigen. Diese Darstellung hat Opfer und Täter zu umfassen. 

Die Entwicklung der Ersten und der Zweiten Republik ist mit allen Widersprüchen - mit den positiven wie negativen Aspekten - darzustellen.

Wo wissenschaftliche Forschung und öffentliches Bewusstsein noch keinen Konsens erreicht haben, wo es offene Fragen und Kontroversen gibt, sind diese offen zu dokumentieren: Ein "Haus der Geschichte" kann Konsens nicht vorspiegeln, wo Dissens herrscht. Das Bekenntnis, Fragen noch nicht geklärt zu haben, 
zählt zu den Fundamenten einer wissenschaftlichen Institution.

3. Aufgaben und Ziele

3.1. Museum neuen Stils

Das "Haus der Geschichte" versteht sich als ein Museum neuen Stils, das nach den Grundsätzen moderner Museumspädagogik geführt wird. Neben einer permanenten Ausstellung zur österreichischen Geschichte veranstaltet es Sonderausstellungen zu aktuellen Schwerpunkten historischer Forschung (z.B. Geschichte der Region Alpen-Adria, Lage der Minderheiten in Osteuropa, etc.).

3.2. Forschungsverbund

Das "Haus der Geschichte" versteht sich selbst nicht als eigenes Forschungsinstitut, sondern will mit allen bereits bestehenden Forschungseinrichtungen für Zeitgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, für Kulturgeschichte und Kulturstudien zusammenarbeiten, wobei unter Ausnutzung der modernen Kommunikationstechnik eine weitgehende Vernetzung angestrebt wird. Nach Maßgabe seiner finanziellen Möglichkeiten erteilt das "Haus der Geschichte" Forschungsaufträge an Institutionen oder Einzelpersonen. 

3.3 Forum einer offenen Gesellschaft

Das "Haus der Geschichte" versteht sich als überparteiliches Forum einer offenen Gesellschaft. In kulturellen und politischen Veranstaltungen werden kontroversielle Fragen aufgegriffen. Bei Symposien zu grundsätzlichen Problemen von Staat und Gesellschaft werden auch Referenten und Teilnehmer aus dem Ausland, insbesondere aus den neuen Demokratien Ost- und Mitteleuropas, eingeladen. 

4. Organisation

4.1 Trägerschaft

Die Trägerschaft übernimmt ein Verein, eine Stiftung oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, 
wobei den politischen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen (Bund, Länder, Verbände und Religionsgemeinschaften) ein angemessenes Mitwirkungsrecht eingeräumt wird. 

4.2 Rechtliche Grundlagen

Im Hinblick auf die Bedeutung der geplanten Institution ist einer öffentlich-rechtlichen Lösung auf der Basis 
eines konsensualen Bundesgesetzes der Vorzug zu geben, die es dem "Haus der Geschichte" ermöglicht, seine Tätigkeit unabhängig von Tagespolitik und der Benevolenz der jeweiligen Regierung auszuüben. 
Zur Wahrung der politischen Unabhängigkeit wäre eine Konstruktion nach dem Muster des Rechnungshofes (Art. 121 BV-G.) vorstellbar. 

Eine weiterer Lösungsansatz könnte in einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern bestehen ("Staatsvertrag"). Dafür spräche die wichtige Rolle, die den Bundesländern beim Aufbau beider Republiken zugefallen ist. 

4.3 Finanzierung

Die Errichtung und der laufende Betrieb sind durch öffentliche wie auch private Mittel zu finanzieren ("Public-Private-Partnership"). 

Das "Haus der Geschichte" ist nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zu errichten und zu führen - woraus sich ableitet, dass dieser Institution auch der notwendige kaufmännische Spielraum ermöglicht werden muss.

4.4 Geschäftsführung

Die Leitung des "Hauses der Geschichte" ist einem fachlich ausgewiesenen Experten für österreichische Geschichte anzuvertrauen, der Erfahrung im Management einer vergleichbaren Institution vorweisen kann. 
Auch eine Teilung der Geschäftsführung zwischen einem wissenschaftlichen und einem kaufmännischen Direktor ist denkbar. Der/die Posten ist/sind international auszuschreiben.

4.5. Mitwirkung der österreichischen Wissenschaft 

Ein wissenschaftlicher Beirat, bestehend aus Vertretern einschlägiger Disziplinen, insbesondere der Geschichtswissenschaften, unterstützt das "Haus der Geschichte" bei seiner Tätigkeit. 
Der Beirat besteht aus mindestens acht, höchstens aber zwölf Personen. Den Vorsitz führt das an 
Jahren älteste Mitglied, wobei das an Jahren jüngste Mitglied als Stellvertreter fungiert. 

5. Best Practice

Eine Reihe von Staaten - insbesondere solche, die unmittelbar vom Zweiten Weltkrieg betroffen waren
(z.B. Deutschland, Ungarn, Slowenien, Russland, Israel) - haben zeitgeschichtliche Museen eingerichtet. 
Ohne diese Beispiele zu perfekten Lösungen erklären zu wollen, erscheint es zweckdienlich, entsprechende Recherchen anzustellen, um aus den Erfahrungen solcher Institutionen zu lernen. 

Darüber hinaus ist es sinnvoll und zweckmäßig, zur Erarbeitung der Grundzüge von Organisation, 
Finanzierung und Betrieb sowie zeitgemäßer Museumspädagogik/-Technik internationale 
Museumsexperten zu Rate zu ziehen, damit nicht nur auf österreichische Vorbilder zurückgegriffen wird. Hinweise dazu finden sich in den bereits vorliegenden Expertisen von Karner/Rauchensteiner und Pelinka

6. Standortfrage

In den bisherigen Diskussionen wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der künftige Standort nicht an den Anfang der Überlegungen gestellt werden sollte. Aufgaben und Ziele, Organisation und Funktionsweise eines "Hauses der Geschichte" müssen vielmehr vor der Standortfrage geklärt werden. Eher kann noch über die Frage befunden werden, ob ein Neubau oder die Adaptierung eines bestehenden Gebäudes angezeigt wäre. 

Auf Grund zahlreicher Erfahrungsberichte und eigener Recherchen empfehlen die Autoren einen zumindest teilweisen Neubau - nicht zuletzt im Hinblick auf die museumspädagogische Zweckmäßigkeit und die laufenden Betriebskosten. 

7. Nächste Schritte

Seit dem Jahr 2000 enthalten die Regierungserklärungen einen Hinweis auf die Absicht, ein Haus der Geschichte einzurichten. Die Autoren dieses Konzepts begrüßen die im April 2006 erfolgte Einsetzung einer Arbeitsgruppe unter Beiziehung einer repräsentativen Zahl ausgewiesener Experten für Zeitgeschichte.

Die in der Presseerklärung vom 20. April 2006 enthaltene Absichtserklärung: 

"in der nächsten Zeit die inhaltlichen Themenfelder für ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich" vorzuschlagen und anschließend einen breiten, interdisziplinären Diskussionsprozess mit allen an der Thematik Interessierten zu initiieren"

lässt darauf hoffen, dass

o die Beratungen über die Errichtung eines Hauses der Geschichte nunmehr zügig  vorangetrieben werden,

o die Vorbereitungsarbeiten jenseits kleinlicher Konkurrenz unter Fachwissenschaftlern und ohne 
   parteitaktische Überlegungen stattfinden,

o nicht nur der zeitgeschichtliche Hintergrund sondern vor allem auch moderne museumspädagogische 
   Aspekte
in die Diskussion eingebracht werden.