Irrlicht auf Herbergssuche

"Die Zeit" für Österreich - 52/2005 - Seite 14 

Verlässlich alle Jahre wieder, mal zur Saure-Gurken-, diesmal zur Weihnachtszeit, bereitet eine Phantomidee den klugen Köpfen des Landes Kopfzerbrechen. Einmal heißt das Gespinst "Museum der Republik", ein anderes Mal "Haus der Geschichte", auch "Museum der Toleranz" war bereits im Gespräch. Eine Zeit lang geistert die Idee auf vergeblicher Herbergssuche durch die Hauptstadt. Dann verschwindet sie alsbald wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wie andere Obdachlose auch.
Es ist ein irrlichterndes Projekt. Mehrere Regierungen haben sich bereits daran versucht. Zu großkoalitionären Zeiten etwa bastelten rivalisierende Teams an schwarzen und roten Konzepten, die schnell an den ihnen zugedachten Orten abgelegt wurden: in der Schublade für halbherzig Beabsichtigtes. Eine Regierungsbildung später nahm sich der historisch ambitionierte Nationalratspräsident und Universitätsprofessor Andreas Khol des Gedankens an und setzte ihn auf seine persönliche Prioritätenliste. Mit dem nämlichen Resultat.

Nun zerrt der beträchtliche Quotenerfolg österreichischer Geschichtsvermittlung in Belvedere, Schallaburg und ORF die Untote neuerlich an das Tageslicht, was ihr erfahrungsgemäß gar nicht gut bekommen wird. Sogar Bundeskanzler Wolfgang Schüssel fand Gefallen daran und meinte vergangene Woche, das "Heeresgeschichtliche Museum" im Arsenal benötige "ohnehin einen anderen Namen". Womit der an Zeitgeschichte nicht eben brennend interessierte Regierungschef seine derzeit nicht unwesentliche Ansicht bekundete, die Geschichte von Erster und Zweiter Republik sei in einem Annex der militärischen Traditionspflege bestens verortet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten zumindest da und dort Alarmsirenen losheulen müssen. Sie blieben aber stumm.
Offensichtlich glaubt niemand mehr, das dahinsiechende Projekt besäße tatsächlich noch eine Chance auf Verwirklichung. Schon allein die Kosten, geschätzte 30 Millionen Euro, schrecken ab. Zu Unrecht fristet allerdings die lang gehegte Absicht, ein Nationalmuseum zu begründen, bestenfalls die Existenz einer letztlich bedeutungslosen Nebensächlichkeit. In der Regel wird der Museumsplan ohnehin als Geldverschwendung angesehen, und wenn die Diskussion darüber aufflammt, dann dreht sie sich meist nie um die Sache selbst. Gestritten wird um die Deutungshoheit und über die Prestigefrage, wer welchen historischen Faden aufrollen soll.
Gegenwärtig wird das Strickmuster der Folklore-Fraktion favorisiert. Österreich, ein Heimatmuseum. Wackere Leute, die mit der nötigen Portion Gottvertrauen allen Unwettern der Zeitläufte trotzen. Ist wieder frei. Ende der Geschichte.
In der Epoche, die zur Debatte steht, überwiegen jedoch historische Brüche über Kontinuitäten. Es gibt nicht eine, sondern mehrere Erzählebenen. Sie stehen miteinander mitunter im Dialog, in anderen Fällen jedoch in Konfrontation. Es gibt nicht eine These, so es sich nicht um Legendenbildung handeln soll, auf die sich die unterschiedlichen historischen Lager einigen könnten, sondern mehrere einander widersprechende, 
die erst miteinander in Konkurrenz treten müssen, anstatt wie bisher in wechselseitiger Ignoranz und faulem Frieden zu verharren. Wenn das Erinnern an vergangene Ereignisse nicht bloß als Fanfarenstoß einer Repräsentationskultur dienen soll, bedarf es in Österreich eines historischen Labors. Dafür aber ist jede Form eines herkömmlichen Museums denkbar ungeeignet. Wahrscheinlich ist die Bevölkerung derzeit ohnehin von den zahlreichen historischen Happen des vergangenen Jahres übersättigt. Das Projekt Nationalmuseum besitzt keinerlei Dringlichkeit. Stattdessen tut eine österreichische Historikerdebatte Not. Bis diese ausbricht, sollte aber das Phantom ruhig weiterhin obdachlos durch die Lande geistern. 

JOACHIM RIEDL