HdG 2 / Aktuelle Überlegungen 2005

     1. Das  „Haus der Geschichte“ , wie  es bis jetzt in der Projektphase genannt wurde, sollte sich nicht nur mit
         der Vergangenheit  beschäftigen, sondern mit den Wurzeln heutiger Politik in der Geschichte.
         Zeitgeschichte als Erklärungsmuster heutiger  Fragestellungen

  1. Die  Frage der nationalen Identität ist heute nur mehr im europäischen Kontext zu stellen. Eine österreichische Nabelbeschau würde nicht nur die  aktuelle  europäische Dimension verfehlen, sie  würde auch zu einer  kulturellen, politischen und ökonomischen Verengung führen.
  1. Daher ist der zeitliche Horizont am besten mit der europäischen Revolution des Jahres 1848 anzusetzen, die in den heutigen zentraleuropäischen Ländern  die Anfänge einer  Diskussion um Verfassung und Demokratie markiert.
  1. Liberalismus und Nationalismen,  Neoabsolutismus und Kampf um  Wahlrecht und  Verfassung, Industrialisierung und Anfänge der Arbeiterbewegung, zentralistische und föderalistische Tendenzen  prägten nicht nur im Kernland der Monarchie  die politischen Debatten , sondern entschieden auch die Entwicklung in den heutigen Nachbarländern.
  1. Die kulturellen Phänomene des „Fin de Siecle“  prägen bis heute das Bild Österreichs in der Welt. Die  gesellschaftlichen Bedingungen für die Explosion wissenschaftlicher und künstlerischer Kreativität um die Jahrhundertwende sind aufzuzeigen.    
  1. Österreich war beides -  Schmelztiegel  verschiedener Nationalitäten und Kulturen, aber auch   Nährboden für Antisemitismus , Rassismus  und  Rechtsextremismus. Die  dunklen und die hellen Seiten der Jahrhundertwende sind in einem „Haus der Geschichte“  zu zeigen.            

      7.   Diese Sicht gilt auch für die Darstellung der Ersten Republik, wobei  der Dissens in zentralen Fragen – Zerstörung der  
           Demokratie,  Österreich –Patriotismus  -in die Darstellung einzubeziehen ist.

      8.  Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus besteht aus Tätern und Opfern. Die Geschichtsforschung hat sich in jüngster
           Zeit dem lange vernachlässigten Kapitel der österreichischen Mittäterschaft an NS-Verbrechen gewidmet. Dies darf nicht zur
           Vernachlässigung  des österreichischen Widerstands, von Exil und Vertreibung führen.

      9.   Die „Zweite Republik“ bleibt eine Erfolgsstory, die  anhand zentraler Fragen –  Verhältnis zu Deutschland,  österreichische
           Nation, Rolle der Neutralität , internationales Engagement , europäisches Selbstverständnis – zu thematisieren
           ist. 
Verdrängung und Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stellen ein wichtiges Kapitel dieser Thematisierung dar.         

     10   Die Rolle Österreichs in Europa,  die mögliche Bildung einer zentraleuropäischen Region,  vergleichbar den  nordischen oder
           den Mittelmeerländern , sollte in einem
„Haus der Geschichte“ nicht fehlen. Vergangenheit ohne Zukunftsperspektiven bleibt
           ein Geschäft für Archivare.

Das „Haus der Geschichte“  ist kein Museum  im klassischen Sinn. Es enthält zwar eine Dauerausstellung zu den oben skizzierten Themen, wie sie andere „Häuser der Geschichte“ ( z. B. das  deutsche „Haus der Geschichte“ in Bonn)  beherbergen,  aber es lebt von den dort stattfindenden Sonderausstellungen zu  ausgewählten thematischen Schwerpunkten. So hat etwa das Deutsche Historische Museum in Berlin im Jahr 2oo5 eine große internationale Ausstellung zum Jahr 1945, „Mythen der Nationen“,  präsentiert. Zugleich könnte sich ein neu konzipiertes „Haus der Geschichte“ zu einem Forum  für große politische Debatten entwickeln. Thema solcher Debatten sollten nicht nur  österreichische, sondern europäische Fragestellungen sein. Das Haus der Geschichte würde so  zu einem   kulturellen und politischen Veranstaltungsort, der zum öffentlichen Diskurs beiträgt.  Es ist nicht einzusehen, warum  verdienstvolle Veranstaltungen wie das alljährliche „Europaforum“  nur in Niederösterreich stattfinden , und nicht  auch und gerade in der Hauptstadt des Landes, die sich so gern „Herz Europas“  nennt. Die wirtschaftliche Expansion Österreichs in Mittel- und Südosteuropa könnte mittels solcher überregionaler  Veranstaltungen kulturell und politisch ergänzt werden: eine Art kultureller und politischer Parallelaktion zur Erweiterung der Europäischen Union. Österreich könnte  damit  signalisieren, dass  es  seine   engeren und weiteren Nachbarländer nicht  nur als große Absatzmärkte sieht, sondern  auch als  politische und kulturelle Partner in einem größeren Europa.

 Wien, 31. Oktober 2005                                        Dr. Trautl Brandstaller