Zeitgeschichte
"Die
Republik hat die Bringschuld"
19. Jänner 2011, 17:34 "Der Standard"
Die Opfer
des Regimes sind bis heute nicht rehabilitiert.
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Der Historiker
Oliver Rathkolb kritisiert die schleppende Rehabilitierung der Opfer
des Austrofaschismus - In Sachen "Haus der Geschichte" attestiert er
Kanzler und Vizekanzler fehlendes Engagement und Interesse
Wien - Das
Konzept für die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus liegt
seit Monaten bei Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) und
Vizepräsident Fritz Neugebauer (ÖVP). Geschehen ist nichts.
Oliver Rathkolb,
Vorstand des Zeitgeschichte-Instituts an der Uni Wien, hat trotzdem die
Hoffnung nicht verloren. Dabei ist das Zuwarten unerklärlich, denn
selbst für den Historiker ist es "legistisch gesehen ein einfaches
Projekt". Rathkolb: "Geben Sie mir einen versierten
Verfassungsjuristen, und in einer Woche liegt ein entsprechender
Gesetzesentwurf auf dem Tisch." Mit wissenschaftlichen Tagungen will
man nun gemeinsam mit Experten der rechtswissenschaftlichen Fakultät an
die Agenda erinnern.
Anders als
erwartet sieht das gemeinsam mit dem Historiker Helmut Wohnout
entwickelte Konzept Einzelfallprüfungen - um die Rehabilitierung von
Nationalsozialisten auszuschließen - nur in verhältnismäßig wenigen
Fällen vor, denn: "Wir können nachweisen, dass eine relativ große
Opfergruppe der rund 10.000 in unterschiedlicher Art und Weise von
Polizei und Justiz politisch Verfolgten rasch rehabilitiert werden
kann. Da gibt es genug empirisches Material."
An der
Wissenschaft liege es nicht, Ende des Jahres sollte spätestens ein
Gesetz verabschiedet werden, findet Rathkolb: "Die Republik hat die
Bringschuld. Immerhin feiert sie gerade intensiv einen ehemaligen
Hochverräter, Bruno Kreisky, dessen Verurteilung nie formal getilgt
wurde."
Kein Haus der
Geschichte
In einer anderen
Frage sieht der Forscher hingegen schwarz. Ob er noch an das seit mehr
als zehn Jahren diskutierte "Haus der Geschichte" glaubt? "Ehrlich
gesagt habe ich davon zu träumen aufgehört", sagt er. Während für das
europäische Pendant bereits die Direktorin, die Slowenin Taja Vovk van
Gaal, bestellt und das wissenschaftliche Personal fix sei sowie ein
Gebäude in Brüssel bereitstünde, "bewegt sich in Österreich die Politik
nicht einmal einen Millimeter". Es fehle an Engagement und Interesse
bei Kanzler wie Vizekanzler. Rathkolb würde am liebsten am Morzinplatz
in der Wiener Innenstadt eine Art zweites Museumsquartier, bestehend
aus dem Haus der Geschichte, einem neuen Jüdischen Museum sowie einem
neuem Wien-Museum, verwirklicht sehen. Nur: "Die Politik erkennt nicht
den Nutzen für die österreichische Gesellschaft."
Betonte
Opferrolle
Dabei gibt es
auch im neuen Jahrtausend Aufklärungsbedarf: Zwar sei der
Antisemitismus der 1970er-Jahre wie die Hitler-Verherrlichung
zurückgegangen, doch würden die alten Stereotype laut Rathkolb in neuem
Gewand auftauchen: "Dieselben Instrumente und Vorurteile werden nun in
der Migrationsdebatte benutzt." Auffallend sei zwar, dass die Sicht auf
Österreichs Mitverantwortung am Holocaust selbstkritischer wurde,
gleichzeitig werde die Rolle des Widerstandes überhöht und die
Opferrolle des Landes überbetont. Laut einer von Rathkolb gestalteten
Sora-Umfrage im Vorjahr sieht mehr als ein Drittel der Bevölkerung
Österreich immer noch als Opfer des NS-Regimes. "So wichtig es ist,
sich mit den Opfern des Holocaust und des Widerstands
auseinanderzusetzen - man muss aufpassen, dass die Täter nicht außen
vor bleiben. Täter, Mitläufer und Zuschauer gehören stärker in
Erinnerung gerufen."
Beunruhigend sei
auch ein anderes Ergebnis der Studie: "Es gibt schon einen Trend in der
Bevölkerung in Richtung Schlussstrich." Nur, so Rathkolb: "Geschichte
kann man nicht in die Schulen verbannen. Sie ist Teil unseres
öffentlichen Diskurses."(Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe,
20.1.2011)
•20.-21. 1.:
"Die Forschungsgräben schließen? Zu Stand und Desideraten der
Erforschung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes", Aula des Uni Campus,
Altes AKH
•24.-26. 1.:
Interdisziplinäre Bestandsaufnahme, Juridicum