Ressort: II Schlagworte: Nationalrat/Bericht/Haus der Geschichte STARTSEITE PARLAMENTSKORRESPONDENZ/BL/26.11.1999/Nr. 526 HAUS DER GESCHICHTE ALS "MILLENNIUMSPROJEKT" ÖSTERREICHS Machbarkeitsstudie im Auftrag des BMUK dem Parlament vorgelegt Wien (PK) Ein "Haus der Geschichte der Republik Österreich" ist "ein wesentliches Millenniumsprojekt der Republik Österreich". Es soll daher mit allen an der Thematik interessierten Gruppen diskutiert und erarbeitet werden. Das "Haus der Geschichte" versteht sich als "Zentrum eines virtuellen Netzwerks, als Schnittstelle für Kommunikation, aber auch als Bindeglied zwischen den einschlägigen Organisationen und Instituten". Es habe in der Vergangenheit immer wieder Sonderausstellungen zur Einzelthemen der Geschichte Österreichs gegeben; die Geschichte der II. Republik sei hingegen in ihrer Gesamtheit noch nie Gegenstand einer großen Ausstellung gewesen, geschweige denn, dass sie in einer permanenten Ausstellung "eine Art historisches Grundmuster erfahren hätte". Dies sind zentrale Aussagen der Machbarkeitsstudie, die von Stefan Karner und Manfried Rauchensteiner im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst erstellt und jetzt dem Nationalrat übermittelt wurde. ( III-6 d.B.) In der Studie wird mit einer Gesamtfläche für das Haus der Geschichte von 7.550 Quadratmetern gerechnet. Als Zeitraum, innerhalb dessen das Projekt verwirklicht werden kann, wird mit sechs bis neun Jahren gerechnet, bei Gesamtkosten (für Gebäudeherstellung, Einrichtung und laufenden Aufwand) vom Jahr 2000 bis 2009 mit rund 500 Mio. S. Zwei Varianten sehen einen Standort in der Wiener Innenstadt (Ring/Schwarzenbergplatz/Schellinggasse) und die Nutzung bestehender Gebäude vor, die Variante III bezieht sich auf einen Neubau im 4. Wiener Bezirk, gegenüber dem Funkhaus in der Argentinierstraße. Für die Varianten 1 und 2 wird mit Kosten für Gebäudeherstellung und Ausstattung von 348 bzw. 330 Mio. S gerechnet, für die Neubau-Variante in der Argentinierstraße mit rund 381 Mio. S. Die Studie umschreibt zunächst Inhalte und Funktion des "Hauses der Geschichte Österreichs", stellt dann in vier Abschnitten die Bereiche "Darstellung-Museum", "Vernetzte Forschung", "Datensicherung" und "Service" vor. Daran schließt eine Analyse von drei Standorten und eine Darstellung von "Rechtsform und Unternehmensplanung" an. In einem Anhang finden sich eine Analyse der möglichen Standorte und Bestandsgebäude (Architekt DI Günter Lautner) und Überlegungen der Wirtschaftsprüfer Dr. Hermann Pucher und Mag. Margit Rapp zum Thema "Rechtsformgestaltung und Unternehmensplanung". "Das Haus ist der Geschichte der Republik Österreich seit 1918 gewidmet", heißt es in der Studie, "nutzt die erklärungsrelevanten Bezüge der Zeit davor, der europäischen und Weltgeschichte sowie die geistigen-kulturellen Strömungen der jeweiligen Zeit. Dabei werden insbesondere die Geschichte der Ersten und Zweiten Republik Österreich und der Jahre des 'Dritten Reiches' mit unterschiedlichen Mitteln in moderner Form dargestellt, virtuell vernetzt und mit Rücksicht auf die bestehenden Einrichtungen erforscht, moderne, zeitgenössische Quellen gesammelt und aufbereitet und über eine Servicestelle 'Österreichische Zeitgeschichte' für Schulen, Behörden, Medien, Ämter und private Interessenten allgemein zugänglich gemacht." DARSTELLUNG - MUSEUM Mit der "Visualisierung von österreichischer Zeitgeschichte" solle das "Vergessen" verhindert werden, und dies auf einer geplanten Ausstellungsfläche von etwa 3.000 Quadratmetern, wobei schwerpunktmäßig eine "Vertiefung der Geschichte" stattfinden soll. Zusätzlich sollten pro Jahr zwei Sonderausstellungen durchgeführt werden. Ein endgültiges Raum- und Inhaltskonzept könne sich erst aus einer ausführlichen Diskussion ergeben; dem musealen Bereich könnte als eine Art Summe aus kollektivem und nationalem Gedächtnis die Frage nach der österreichischen Identität zu Grunde gelegt werden. Primäre Aufgabe des musealen Bereichs sei es, das Defizit zu beseitigen, das im Fehlen einer Gesamtausstellung über die II. Republik gesehen wird. Die Besucher sollten in der musealen Präsentation auf die "Spur ihrer persönlichen Geschichte" gesetzt werden, die sie rekapitulieren und weiterentwickeln sollten. Dies bedinge aber, dass immer wieder von der Gegenwart auszugehen sei. Um eine widersinnige "Konkurrenz am Platz" zu vermeiden, sollte schon in der Planungsphase eine Abstimmung mit dem Heeresgeschichtlichen Museum und mit dem Museum der Stadt Wien erfolgen. In der Projektphase ist laut Studie mit acht bis zehn qualifizierten MitarbeiterInnen im Museumsbereich zu rechnen, im Vollbetrieb mit "etwa 30 - 35 Mitarbeitern", einschließlich jener in dezentralen Depots. Für die "Museumspädagogik" und "Führungsnotwendigkeiten" setzt die Studie zum einen auf freie Mitarbeiter, zum anderen auf Technik (Knopfmikorophone und Kopfhörer), wobei ein "komplettes und automatisiertes Führungssystem über Sensoren" als "optimale Lösung" gesehen wird. Der Eintritt in das Haus der Geschichte Österreichs sollte generell kostenlos sein. VERNETZTE FORSCHUNG Auch in der Forschung kann es der Studie zufolge nicht um Parallelitäten mit anderen Einrichtungen gehen, sondern um "Ergänzungen" in Zusammenarbeit mit Universitätsinstituten und Gesellschaften. Hauptfelder der Forschung sollten - neben den "weißen Flecken" der zeitgeschichtlichen Diskussion - "Holocaust, Vertreibungen, Fremdenfeindlichkeit, österreichische internationale Position, Gesellschaft und Wirtschaft" sein. Der Anspruch der Einrichtung wird in der Studie mit "lebendiges Gedächtnis der Nation" umschrieben. Ausgehend von der Tatsache, dass die in Österreich gepflegte "Erinnerungskultur" für die Zeit zwischen 1938 und 1945 an eine "Opfertheorie" anknüpft, treten die Autoren dafür ein, "hier anzusetzen und mit Nachdruck eine objektive Darstellung der österreichischen Rolle innerhalb des Dritten Reiches einzufordern. Auch wenn eine solche Vorgangsweise bei manchen Zeitzeugen mit Misstrauen aufgenommen werden sollte, so ist doch das zukünftige Haus der Geschichte der Republik Österreich der beste Platz dafür", stellen die Autoren fest. Daher komme der politischen Unabhängigkeit der Einrichtung höchste Priorität zu. Bis heute hätten sich die historischen Wissenschaften in Österreich noch kaum oder nur am Rand mit der Frage auseinandergesetzt, welche Einflüsse die wichtigen Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte - von den 30er-Jahren bis zum Fallen des Eisernen Vorhangs - auf Österreichs nationale Identität gehabt hätten. Antwort auf diese Frage zu geben, sollte ein Thema des Hauses der Geschichte Österreichs sein. Allerdings dürfe diese Einrichtung - anders als die sogenannten Nationalmuseen im 19. Jahrhundert - nicht so etwas wie eine "Identitätsfabrik" sein. Eine Chance - und damit ein Arbeitsfeld für das Haus der Geschichte - wird von den Autoren der Studie in Biographiengeschichte gesehen, d.h. die Einrichtung sollte sich, in ausstellungsrelevanten Schwerpunkten, den Forschungen über bedeutende Persönlichkeiten widmen, wobei auf die übergreifende "Strukturgeschichte" nicht vergessen werden dürfe. Auch die Zäsuren in der Geschichte Österreichs und deren jeweiliges soziales Umfeld, Österreich als Grenzland und als Schnittstelle und Österreich als Teil eines geeinten Europa werden als Beispiele möglicher Ausstellungs- und Forschungsfelder angeführt. DATENSICHERUNG Der Bereich Datensicherung wird von den Autoren der Studie als "äußerst schwieriges Unterfangen" eingeschätzt, zumal vielfach eine Parallelität zum Österreichischen Staatsarchiv befürchtet werde. Die Vorstellung eines zentralen Zeitgeschichte-Archivs widerspräche dem Grundgedanken der Vernetzung, wie er im Konzept eines Hauses der Geschichte verfolgt werde. Die Studie skizziert in diesem Zusammenhang Akzente, die gesetzt werden könnten: "Ein virtuelles Zeitgeschichte-Archiv mit dem Ziel, dem Benützer einen Gesamtüberblick über alle in Österreich vorhandenen Bestände zu vermitteln. Das geschieht anhand der Erstellung eines elektronischen Findbuches, das einem ständigen updating unterworfen ist. Jeder Benutzer, der diese Serviceleistung des Hauses der Geschichte in Anspruch nimmt, soll feststellen können, ob und welche Bestände zu welchem Thema wo lagern, ob und wann sie zugänglich sind, besonderen Restriktionen unterliegen, ob sie kopierbar sind, welche Kosten damit verbunden sind..." In "traditioneller Form" ist u.a. an die Erschließung von Filmarchiven und von relevanten Quellen im Ausland, an die "Sicherung der Bestände der einschlägigen Printmedien und an eine Auswertung der oral history gedacht. Für den Forschungsbereich rechnet die Studie mit einem Personalbedarf von etwa 15 AkademikerInnen. SERVICE Als wichtige Aufgabe im Bereich Service sehen die Autoren der Studie die Vermittlung und Kanalisierung von Anfragen, nach Möglichkeit auch die Beantwortung durch eigenes Fachpersonal. Der Betrieb sollte - nach einer Probephase - schrittweise ausgeweitet werden, und zwar auch inhaltlich, nämlich auf Fragen zu Europa bzw. auf den EU-Raum. Als wichtige Aufgabe der Zeitgeschichtsforschung wird gesehen, Lösungsansätze und Diskussionsbeiträge für strittige Fragen der (unmittelbaren) politischen Vergangenheit bereitzustellen. "Die Debatten der jüngsten Vergangenheit haben gezeigt", heißt es in diesem Zusammenhang, "dass das öffentliche Bewusstsein sich der Spezialisten in diesem Lande viel zu wenig bewusst ist. Das hatte nicht selten zur Folge, dass dem 'Jahrmarkt der Halbwahrheiten' Tür und Tor geöffnet war, Wichtiges mit Unwichtigem vermengt wurde und daraus schließlich ein unwissenschaftliches Konglomerat an Informationen entstand, das am Ende keiner seriösen Überprüfung standhalten konnte." Daher sollte regelmäßige Publikationstätigkeit erwogen werden. Zum Angebot sollten auch Seminare und Vorträge sowie "Schulungskurse für Beamte oder Lehrer" gehören. Ziel solcher Schulungen müsse es sein, "die historische Bedeutung der ersten stabilen österreichischen Demokratie herauszustreichen und pädagogische Wege aufzuzeigen, diese Bedeutung auch an andere - etwa Schüler - weiter zu vermitteln". Diese Veranstaltungen sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auch Gemeinschaftsprojekte mit Rundfunk und Fernsehen, wie Filmzyklen mit österreichischen Themen, könnten realisiert werden. Neben dem Ausstellungsareal soll es Einrichtungen wie eine "zeitgeschichtliche Cafeteria", einen Museumsshop, eine öffentlich zugängliche Bibliothek und "Internet für Zeitgeschichte" geben. RECHTSFORM UND UNTERNEHMENSPLANUNG Als Rechtsform für das Haus der Geschichte wird in der Studie eine "wissenschaftliche Anstalt des öffentlichen Rechts des Bundes" und eine gemeinnützige GmbH gegenüber der Form eines gemeinnützigen Vereins sowie einer Stiftungslösung bevorzugt. Als Organe der wissenschaftlichen Anstalt sollen eine Geschäftsführung, ein Kuratorium (bestehend aus Vertretern der Bundesministerien), ein Aufsichtsorgan sowie ein Kontrollorgan fungieren. (Schluss) http://www.parlinkom.gv.at/pd/pk/1999/PK0526.html STARTSEITE --------------------------------------------------------------------------- HTML-Dokument am 28.01.2000/08:45:39 erstellt. |